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Dr. Justina Budginaite-Froehly, Alessio Fotia, Robert Kirchner

The Times They Are A-Changin': Der belarussische Automarkt

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der anschließenden Einführung westlicher Sanktionen gegen Russland und Belarus konnte eine tiefgreifende Umstrukturierung des belarussischen Automarktes beobachtet werden. Der Markt für neue Personenkraftwagen (Pkws) brach im Jahr 2022 zusammen, nachdem sich die westlichen Automobilhersteller aus Russland, dem traditionell wichtigsten Exporteur neuer Pkws nach Belarus, zurückgezogen hatten. Infolgedessen kam es zu einer umfassenden Umstrukturierung des belarussischen Automarktes.

  • Belarus
NL 86 | Januar-Februar 2024
Außenhandel und regionale Integration

Dies führte dazu, dass die in Belarus produzierten Geely-Fahrzeuge vom belarussisch-chinesischen Automobilhersteller „BelGee“ eine marktbeherrschende Stellung einnahmen. Neben dem Anstieg der inländischen Pkw-Produktion nahmen auch Pkw-Importe aus China und der EU erheblich zu. Vor allem der Anstieg der Pkw-Importe aus der EU stellte eine strukturelle Veränderung dar, da er sowohl durch das Wachstum des Gesamtwertes (von 0,3 Mrd. EUR im Jahr 2021 auf 2,4 Mrd. EUR im Jahr 2023) als auch des Importvolumens der importierten Pkws bedingt war. Das scheint im Widerspruch zum heimischen Bedarf in Belarus zu stehen.

Zusammenbruch des Automarktes im Jahr 2022

Die Neuwagenverkäufe in Belarus gingen in den letzten Jahren schrittweise zurück, bevor sie 2022 auf ein Zehnjahrestief einbrachen. Der Hauptgrund dieses Markteinbruchs stand im direkten Zusammenhang mit den Entwicklungen des russischen Automarktes. Vor dem Jahr 2022 deckten in Russland hergestellte Pkws (russische und westliche Marken) rund 80% der belarussischen Inlandsnachfrage nach Neuwagen ab. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben die meisten westlichen Automobilhersteller ihre Aktivitäten in Russland ausgesetzt oder eingestellt. Dies wirkte sich unmittelbar auf die Lieferung von Neuwägen nach Belarus aus und führte zu massiven Engpässen auf dem Markt.

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Nach einer erheblichen Marktumstrukturierung stiegen die Neuwagenverkäufe im Jahr 2023 wieder. Da die Verkaufszahlen jedoch immer noch doppelt so niedrig sind wie 2021, spiegeln die aktuellen Entwicklungen nur eine teilweise Erholung des Marktes wider.

Umstrukturierung des Automarktes im Jahr 2022/2023

Vor dem Jahr 2022 war die russische Marke LADA die meistverkaufte Neuwagenmarke in Belarus, gefolgt von den westlichen Marken Renault, Volkswagen und KIA. Das Bild änderte sich vollständig im Jahr 2023, nachdem sich die LADA-Verkäufe auf den russischen Inlandsmarkt ausrichteten und Importe westlicher Automarken aus Russland nach Belarus eingestellt wurden. Die Verkäufe der chinesischen Marke Geely hingegen stiegen 2023 deutlich an und machten sie zum dominierenden Marktteilnehmer. Der Anteil der Geely-Fahrzeuge am belarussischen Neuwagenmarkt lag 2023 bei 71%.

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Steigende inländische Automobilproduktion

Der belarussisch-chinesische Automobilhersteller „BelGee“ produziert seit 2013 Geely-Fahrzeuge in Belarus, jedoch waren die Produktionszahlen noch nie so hoch wie 2023. Innerhalb eines Jahres hat sich die inländische Produktion von Geely-Fahrzeugen in Belarus fast verdreifacht und erreichte geschätzte 68 Tsd. Autos. Als Reaktion auf die aktuellen Marktentwicklungen weitet „BelGee“ nicht nur sein Produktionsvolumen aus, sondern führt auch neue Geely-Automodelle als Ersatz für westliche Pkws ein.

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Nach der derzeitigen Verkaufsstrategie von „BelGee“ werden jedoch nur etwa 20% der in Belarus produzierten Geely-Fahrzeuge auf dem heimischen Markt verkauft. Die Verkäufe von Geely in Belarus beliefen sich 2023 auf geschätzte 15.437 Einheiten. Der Rest der in Belarus produzierten Fahrzeuge wurde nach Russland exportiert, wo ein aufgestauter Bedarf an Pkws herrscht.

Pkw-Importdynamik

Neben der steigenden Inlandsproduktion in Belarus ist seit 2022 auch ein deutlicher Anstieg der Pkw-Importe aus China und der EU zu beobachten. Der Gesamtwert der aus China importierten Pkws wuchs von 0,3 Mrd. EUR in den Jahren 2021 und 2022 auf 1,4 Mrd. EUR im Jahr 2023. Das Importvolumen erhöhte sich um mehr als das Doppelte von 53.540 Stück im Jahr 2021 auf 113.912 Stück im Jahr 2023.

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Die Pkw-Importe aus der EU wuchsen noch stärker bedingt durch den Anstieg des Gesamtwerts, des Importvolumens und des Durchschnittspreises der importierten Pkws. Der Gesamtwert der nach Belarus exportierten Pkws aus der EU stieg um das Achtfache von 0,3 Mrd. EUR im Jahr 2021 auf 2,4 Mrd. EUR im Jahr 2023. Das Importvolumen vervierfachte sich im gleichen Zeitraum von 21.752 Einheiten auf 85.974 Einheiten. Der Durchschnittspreis für aus der EU importierte Pkws verdoppelte sich auf 27.900 EUR pro Stück im Jahr 2023.

Der starke Anstieg der Pkw-Importe aus der EU und China (+124.700 Einheiten) entsprach nicht dem Bedarf des belarussischen Marktes, selbst unter Berücksichtigung des Rückgangs der Importe aus Russland seit Mitte 2022. Ausgehend von den aktuellen Entwicklungen auf dem belarussischen Automarkt scheint daher ein erheblicher Re-Export von Pkws aus Belarus nach Russland wahrscheinlich, zumal Russland für bestimmte Arten von Autoexporten aus der EU mit Sanktionen belegt ist. Die aktuellen EU-Sanktionen verbieten die (Re-)Export von Luxusfahrzeugen mit einem Wert von über 50.000 EUR pro Stück (4. Sanktionspaket, März 2022) und über 1.900 cm³ Hubraum sowie aller Elektro- und Hybridfahrzeuge (11. Sanktionspaket, Juni 2023) nach Russland.

Ausblick

Der belarussische Automarkt erlebte in den Jahren 2022/2023 eine umfassende Umstrukturierung. Obwohl einige der jüngsten Entwicklungen, wie z.B. der massive Anstieg des Marktanteils von chinesischen Geely-Fahrzeugen auf dem belarussischen Inlandsmarkt, eine natürliche Folge der Umstrukturierung des russischen Automarktes zu sein scheinen, werfen die steigenden Importe von Pkws aus der EU nach Belarus die Frage nach möglichen Re-Exporten nach Russland auf. Da insbesondere die (Re-)Exporte von Luxusfahrzeugen nach Russland derzeit von der EU sanktioniert werden, könnte eine detaillierte empirische Untersuchung zu diesem Thema wertvolle Erkenntnisse darüber liefern.

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Dieser Newsletter basiert auf einem in Kürze erscheinenden Policy Briefing über die Entwicklungen auf dem belarussischen Automarkt.