Schifffahrtsroute im Schwarzen Meer wiederhergestellt
Die Blockaden und (teilweise) Besetzung ukrainischer Schwarzmeerhäfen durch Russland stellen eine erhebliche Logistikherausforderung für die Ukraine dar. Denn etwa 60% der Warenexporte wurden 2021 über diesen Weg transportiert. So halbierte sich der Warenexport der Ukraine 2023 gegenüber 2021. Zwar stellte das Getreideabkommen zwischen Sommer 2022 und Sommer 2023 einen relativ sicheren Transportweg für bestimmte Agrarprodukte dar. Nach einem Jahr wurde es jedoch von russischer Seite “suspendiert“. Im Herbst wurde von ukrainischer Seite ein neuer Transportkorridor im Schwarzen Meer definiert, der besonders küstennah ist.
Trotz anfänglicher Sicherheitsbedenken ermöglichte dieser Korridor im Dezember 2023 wieder das Vorkriegsniveau an Güterexporten zu erreichen. Dies wurde sowohl durch eine verbesserte Sicherheitslage im nord-westlichen Teil des Schwarzen Meeres als auch durch einen Durchbruch bei der Versicherung von Kriegsrisiken beeinflusst. Denn es ist Ende 2023 gelungen, die Handelsschifffahrt für Nahrungsmittel durch eine Public-Private-Partnership zu deutlich reduzierten Prämien versicherbar zu machen. Insgesamt ist ein Versicherungsschutz von bis zu 50 Mio. USD für Schiff und Haftpflicht pro Schiffspassage möglich.
Ausgangslage
Die „Initiative on the Safe Transportation of Grain and Foodstuffs from Ukrainian Ports”, auch als Getreideabkommen bezeichnet, trat am 27. Juni 2022 in Kraft und erlaubte Exporte ukrainischen Getreides, von Nahrungs- und Düngemitteln über eine vorgeschriebene Schifffahrtsroute, den „Maritime Humanitarian Corridor“ von den drei ukrainischen Häfen Odessa, Chernomorsk und Yuzhny/Pivdennyi nach Istanbul und von dort weiter durch den Bosporus zu den Empfängerhäfen weltweit. Die Vereinbarung wurde von der Ukraine, der Russischen Föderation und der Türkei auf Vorschlag des Generalsekretärs der Vereinten Nationen unterzeichnet. Handelsschiffe, andere zivile Schiffe und Hafenanlagen durften von den Vertragsparteien nicht angegriffen werden.
Ukrainische Exporte untr dem Getreideabkommen
Bis zur „Suspendierung“ des Getreideabkommens durch Russland am 23. Juli 2023 wurden während seiner einjährigen Geltungsdauer mit über 1.100 Schiffen 32,9 Mio. Tonnen Getreide und andere Nahrungsmittel exportiert, darunter Mais (51%), Weizen (27%), Sonnenblumenmehl (6%) und Sonnenblumenöl (5%). Der Anteil der Entwicklungsländer als Abnehmer lag für Weizen bei 65% und für Mais bei 51%, insgesamt bei 57%. 725.000 Tonnen Weizen entfielen auf das United Nations World Food Programme mit Hilfslieferungen für Äthiopien, Jemen, Afghanistan, Sudan, Somalia, Kenia und Djibouti.
Die Kontrolle und Abfertigung der Handelsschiffe durch das Joint Coordination Centre in Istanbul war teilweise langwierig. Da die Route trotz der vertraglichen Absicherung durch das Operationsgebiet der beiden kriegführenden Länder führte, waren nur wenige Versicherer am Londoner Markt (Lloyds‘) bereit, gegen hohe Prämien eventuelle Kriegsrisiken an Schiffen, deren Ausrüstung und ihrer Ladung zu versichern.
Nach dem Auslaufen des Abkommens am 23. Juli 2023 war der Getreideexport auf der vereinbarten Route zunächst vollständig zum Erliegen gekommen. Es kam zu Angriffen auf Hafenanlagen in Odessa, Chernomorsk und Pivdennyi sowie auf den Donau-Hafen von Izmail. Auch hatte der russische Außenminister Lavrov jedes zivile Schiff im Schwarzen Meer als legitimes Kriegsziel erklärt. Mehrere Handelsschiffe, die eine küstennahe Route durch das Schwarze Meer befuhren, wurden durch Seeminen beschädigt. Diese Ereignisse erhöhten die Versicherungsprämien nochmals stark.
Der neue „Ukrainian Corridor“
Schon im August 2023 definierte die Ukraine eine neue, küstennahe Schifffahrtsroute durch türkische, bulgarische, rumänische und ukrainische Hoheitsgewässer.
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Die Route birgt erhebliche Risiken: es gibt keine völkerrechtlichen Schutzzusagen, aber auch durch Seeminen und sehr hohe Versicherungsprämien. Der ukrainischen Armee gelingt es aber zunehmend, die russischen Seestreitkräfte in den Osten des Schwarzen Meeres zurückzudrängen. Die Gefahr von unmittelbaren Angriffen auf Schiffe im „Ukrainian Corridor“ ist danach deutlich zurückgegangen.
Erforgleiche Schiffspassagen auf der neuen Route
Die neue Schifffahrtsroute steht allen Exporten und Importen offen. Neben der Routenführung selbst ist dies eine bedeutende Veränderung gegenüber der nur für Getreide und Lebensmittel-Exporte offenen Route während des Getreideabkommens. Seit dessen Ende sind laut Infrastrukturminister Kubrakov bis Februar 2024 bereits mehr als 850 Schiffe mit 26 Mio. Tonnen Exportgütern im Großraum Odessa beladen worden, davon 18 Mio. Tonnen landwirtschaftliche Güter. Wirtschaftsministerin Svyrydenko informierte, dass im Dezember 2023 mehr landwirtschaftliche Güter auf dem Seeweg exportiert worden seien als in jedem Monat des Getreideabkommens. Damit sei das Vorkriegsniveau praktisch wieder erreicht. Allein im Februar 2024 sind laut Minister Kubrakov 8,0 Mio. Tonnen exportiert worden. Generell laufen aktuell über 90% der landwirtschaftlichen Exporte der Ukraine über den Schwarzmeerkorridor.
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Für diesen Erfolg war die verbesserte Sicherheitslage in ukrainischen Hoheitsgewässern ausschlaggebend, aber auch ein Durchbruch in der Versicherungsfrage.
Durchbruch bei der Versicherung von Kriegsrisiken
Durch eine Public-Private-Partnership (PPP) unter der Bezeichnung „Unity Facility“ ist es im November 2023 gelungen, ein Schema zu etablieren, das die Handelsschifffahrt für Nahrungsmittelexporte im Schwarzen Meer versicherbar macht und dies zu Prämien, die deutlich niedriger sind als bisher. Das Modell ist bahnbrechend, da es Schiff, Haftpflicht und politisches Risiko (Political Violence) abdeckt. Ab dem 01. März 2024 wird diese Versicherungsmöglichkeit ausgedehnt auf Schiffstransporte für alle anderen Exportgüter der Ukraine, ausgenommen militärische Güter. Wirtschaftsministerin Svyrydenko betonte, dass vor allem Exporte von Eisenerz und Stahl sowie sonstige Güter im Containerverkehr jetzt auch unter Versicherungsschutz exportiert werden können. Auch für die Fracht gibt es Versicherungsmöglichkeiten gegen das Kriegsrisiko.
Ein staatlicher ukrainischer Garantiefonds wird durch Akkreditive von je 10 Mio. USD der beiden staatlichen Banken Ukreximbank und Ukrgasbank gebildet, die von der ukrainischen staatlichen Exportkreditversicherung „EKA“ kreditversichert und von der DZ Bank, Frankfurt, bestätigt sind. Begünstigt aus den Akkreditiven ist ein Pool von 14 Versicherern in London (Lloyds‘). Die Versicherer bieten Versicherungsschutz von bis zu 50 Mio. USD jeweils für „Hull & Machinery“ einschließlich „Political Violence“ und für „Protection & Indemnity“ (P&I) für jede Schiffspassage. Im Falle eines Schadens muss zuerst der ukrainische Garantiefonds antreten (first loss), daran anschließend haften die britischen Versicherer mit ihrer „excess of floss“ Deckung. Die Versicherungsprämien reduzieren sich durch die verbesserte Risikolage und die staatliche Mithaftung von zeitweilig deutlich über 3,0% auf anfangs 1,0-1,25% und inzwischen 0,75% der gedeckten Versicherungssumme.
Fazit
Die ukrainischen Bestrebungen, Versicherungslösungen für das Kriegsrisiko zu entwickeln, zeigen für die Handelsschifffahrt im Schwarzen Meer sichtbare Erfolge. Die Lösungsansätze sind in vielfacher Weise innovativ und bringen private Anbieter und staatliche Institutionen in der Form einer Public-Private Partnership zusammen. Die noch viel komplexeren Bemühungen zur Absicherung von Investitionen in die Industrie und Infrastruktur der Ukraine gegen Kriegsrisiken, die auf unterschiedlichen Ebenen laufen, haben noch keinen vergleichbaren Grad an Entscheidungsreife erlangt. Sie dürften nach aktueller Kenntnis nur mit massiver finanzieller Unterstützung durch bilaterale und multilaterale Geber und durch den ukrainischen Staat praktikabel werden.