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Stephan von Cramon-Taubadel

Russlands Invasion: Auswirkungen auf Getreidemärkte

Die russische Invasion in der Ukraine hat weitreichende Auswirkungen – politisch, militärisch und nicht zuletzt ökonomisch. Aber nicht nur dort steht die Weltgemeinschaft vor schwerwiegenden Herausforderungen. Auch die globale Ernährungssicherheit könnte gefährdet sein, zählen die Ukraine und Russland doch zu den größten Produzenten und Exporteuren von Getreide.

  • Ukraine
NL 161 | März 2022
Agrarsektor und Ernährungswirtschaft
Zusammenfassung

Russlands Invasion der Ukraine, die am 24. Februar begann, markiert eine neue Zeitrechnung. Der militärische Ausgang der Invasion ist bisher unklar. Sicher ist hingegen, dass sie umfassende und nachhaltige Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Unternehmen haben wird. Der öffentliche Diskurs in Deutschland dreht sich bisher hauptsächlich um militärische Fragen, beispielsweise Waffenlieferungen, sowie Sanktionen, Energiemärkte und humanitäre Unterstützung für die Ukraine. Während all diese Fragen wichtig sind, drohen auch weitreichende und schwerwiegende Implikationen für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, die hervorgehoben werden sollten. Die Produktion und Exporte der Ukraine und Russlands werden kurzfristig betroffen und ihre globalen Auswirkungen sogar in einem optimistischen Szenario langfristig sichtbar sein.

Hintergrund

Zwischen 1992 und 2002 exportierten die Ukraine, Kasachstan und Russland durchschnittlich 3 Mio. t Getreide jährlich – eine vernachlässigbare Menge. Zwischen 2017 und 2021 allerdings lagen ihre Nettoexporte jährlich über 100 Mio. t. Seit 2015 sind diese drei Länder somit für etwa 25% der globalen Getreideexporte verantwortlich.

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Diese beindruckende Entwicklung ist das Ergebnis einer grundlegenden Transformation ihrer Landwirtschaft. Seit den 1990er Jahren begann sich die Getreideproduktion zu erholen, zuerst langsam und in den letzten Jahren immer schneller. Die gestiegenen Erträge sind auf importierte Technologie in Form von Landmaschinen, Saatgut, landwirtschaftlichem Know-How und Transportinfrastruktur zurückzuführen. Diese Transformation hat es der Region während des letzten Jahrzehntes ermöglicht, substanzielle und wachsende Exportüberschüsse zu erzielen. Rückblickend kommt das landwirtschaftliche Potenzial einer der fruchtbarsten Region weltweit nach Jahrzehnten sowjetischen Missmanagements endlich zum Tragen.

Auswirkungen der Invasion auf Produktion und Exporte

In den Schwarzerderegionen der Ukraine und Russlands wurde im letzten Herbst Winterweizen gepflanzt; Anbaufläche und die mögliche Produktionsmenge sind damit festgelegt. Zum Ende des Winters zeigen sich die Kulturen insgesamt in einem guten Zustand. Allerdings wird die Invasion die landwirtschaftlichen Aktivitäten in der Ukraine maßgeblich beeinträchtigen. Selbst falls die Weizenernte eingefahren werden kann, scheint ein Ertragsrückgang von etwa einem Drittel unausweichlich.

Bei den Frühjahrssaaten ist die Lage noch schlechter. Hier steht die Auspflanzung noch aus. Die Bodenaufbereitung und die Aussaat der Sommergerste würden gewöhnlich Anfang März im Süden der Ukraine beginnen und anschließend in Richtung Norden fortgesetzt. Die wichtigste Frühjahrssaat in der Ukraine ist Mais, der von Anfang April bis Mitte Mai gepflanzt wird. Saatgut, Treibstoff, Arbeitskräfte – drei essenzielle Inputs fehlen oder können gerade nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitgestellt werden. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Ukraine dieses auch nur annähernd so viel Mais ernten wird wie die 42 Mio. t 2021.

Insgesamt werden die ukrainischen Weizenexporte in einem optimistischen Szenario von 24 Mio. t auf voraussichtlich 16 Mio. t fallen und die von Grobgetreide (hauptsächlich Mais) von 40 Mio. t auf 13 Mio. t. In diesem Fall würde die Ukraine 2022/23 29 Mio. t Getreide exportieren, verglichen mit 64 Mio. t 2021/2022. Zusätzlich befindet sich ein großer Anteil der besten Anbauflächen im Süden und Osten des Landes und somit nahe der Hafenstädte entlang des Asowschen Meeres und der Schwarzmeerküste. Einige dieser Städte (z. B. Kherson, Mariupol) sind heftigen Kämpfen ausgesetzt. Daher sind Schäden an Silos, Hafenanlagen und Bahnanbindungen wahrscheinlich.

Die russische Getreideproduktion wird voraussichtlich nicht beeinträchtigt sein; jedoch auf Grund logistischer Einschränkungen und Finanzsanktionen die Möglichkeiten diese zu exportieren. Es werden insbesondere die Menge und das Timing russischer Getreideexporte betroffen sein.

Auswirkungen auf globale Getreidemärkte und Hunger

Ein Rückgang um 35 Mio. t entspricht lediglich 7,6% des für 2021/22 prognostizierten globalen Getreideexportes. Auf einigen Märkten ist eine Reduktion um 7,6% kein Grund zur Sorge. Allerdings ist dies noch eine optimistische Schätzung. Außerdem ist die globale Nachfrage nach Getreide als Nahrungsmittel und Tierfutter unelastisch, somit bewirken geringe Angebotsverschiebungen große Preissprünge. Seit Beginn der Invasion liegen globale Getreidepreise sogar über dem Niveau der Nahrungsmittelpreiskrise 2007/08. Für entwickelte Volkswirtschaften wie Deutschland tragen höhere Getreidepreise zur Nahrungsmittelpreisinflation bei, stellen jedoch keine fundamentale Bedrohung der Ernährungssicherheit dar. Wahrscheinlich ist, dass die Effekte in diesen Ländern durch sozialpolitische Maßnahmen abgefedert werden.

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Die Situation in Ländern mit niedrigem Einkommen ist wesentlich kritischer. Die Inflation der Nahrungsmittelpreise stellt hier eine existenzielle Bedrohung für die Gesundheit und das Leben hunderter Millionen Menschen dar. Haushalte, die bereits 50% und mehr ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, haben wenig Spielraum sonstige Ausgaben zu reduzieren, denn „sonstige“ sind meist Ausgaben für Wohnung, Gesundheitsversorgung und Bildung. Die globale Ernährungssicherheit war bereits vor Russlands Invasion der Ukraine schlecht. Nach Jahren eines frustrierend langsamen, aber stetigen Rückganges sowohl der absoluten Zahl als auch des Anteiles unterernährter Menschen an der Bevölkerung weltweit, hatte sich der Fortschritt verlangsamt. Mitte der 2010er Jahre ist er zum Halten gekommen und kehrte sich schließlich 2020 und 2021 um, insbesondere auf Grund von COVID-19. Zwischen 2017 und 2021 ist die Anzahl unterernährter Menschen weltweit um 200 Mio. gestiegen

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Zusätzlich zum Anstieg von Hunger und Ernährungsunsicherheit in den letzten Jahren, sind die weltweiten Bestände an Getreide aktuell nah an einem historischen Minimum. Bestände spielen auf Warenabsatzmärkten eine wichtige Rolle. Sobald Getreidebestände gering sind, steigen Marktnervosität und Preise – die Korrelation hier ist stark. Somit bedroht und befeuert Russlands Invasion eine Zunahme an Hunger und Unterernährung weltweit.

Die Auswirkungen des Preisanstieges auf Grund der Invasion sind bereits in einkommensschwachen, importabhängigen Ländern im Nahen Osten, Nord- und Subsahara Afrika sowie Südostasien spürbar. 17% der von Ernährungsunsicherheit bedrohten Bevölkerung leben in Ländern, in welchen Weizen die wichtigste Getreidesorte ist, weitere 27% in solchen, in welchen Mais diese Rolle zukommt. In den letzten Wochen stiegen die Importpreise für Weizen, Mais und sonstige Getreide um 50% und mehr im Vergleich zum Vorjahr. Die Vereinten Nationen und verschiedene Hilfsorganisationen schlagen bereits Alarm, da die Kosten für die Bereitstellung von Nahrungsmittelhilfen explodieren.

Zusammenfassung und Ausblick

Die globalen Getreidepreise sind hoch und werden dies in absehbarer Zukunft bleiben, da sich die Märkte an die stark reduzierten Getreidemengen anpassen, die in diesem und voraussichtlich in den nächsten Jahren vorhanden sein werden. Die internationale Gemeinschaft und Entscheidungsträger in der EU werden die globale Produktion von Getreide erhöhen, Exportverbote vermeiden und in der „Nahrungsmittel vs. Treibstoff“ Debatte umdenken müssen. Neben der Hoffnung auf einen sofortigen Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine ist eine koordinierte humanitäre Antwort unabdingbar, um die Ernährungsunsicherheit – verstärkt durch Russlands ungerechtfertigte militärische Invasion der Ukraine – in Afrika und im Nahen Osten zu begrenzen.

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