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Marie-Aimée Salopiata

Grüne-Karte-Mitgliedschaft – Wirtschaftliche Implikationen

Kosovo ist derzeit das einzige europäische Land, das nicht Teil des Grüne-Karte-Systems ist, einem internationalen System zur Regelung von Verkehrsunfällen, die von ausländischen Fahrzeugen im Inland verursacht werden. Daher müssen Kosovaren, die mit dem Auto ins Ausland reisen, an jedem Grenzübergang eine Versicherung abschließen, während ausländische Fahrzeuge, die nach Kosovo einreisen, an der kosovarischen Grenze eine zusätzliche Versicherung abschließen müssen. Die fehlende Grüne-Karte-Mitgliedschaft wirkt sich negativ auf die kosovarische Wirtschaft aus, wobei der Transport- und der Tourismussektor besonders betroffen sind.

  • Kosovo
NL 15 | Januar - Februar 2024
Entwicklung des Privatsektors

Da die UN-Mitgliedschaft eine der Voraussetzungen für die Aufnahme ins Grüne-Karte-System ist, muss eine langfristige Lösung auf politischer Ebene gefunden werden. Kurzfristig können praktische Ansätze verfolgt werden, um Auswirkungen wie lange Wartezeiten an der Grenze für einreisende Fahrzeuge abzumildern. Hierfür kommen z.B. die Digitalisierung der Grenzverfahren oder Werbung für den Online-Abschluss von Versicherungen in Frage.

Das Grüne-Karte-System

Auf Anregung der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen wurde 1949 das Grüne-Karte-System mit dem Ziel eingeführt, Fälle von grenzüberschreitenden Verkehrsunfällen zu regeln, die durch ausländische Fahrzeuge verursacht werden. Die Grüne Karte garantiert dem besuchten Land, dass der Versicherer des Herkunftslandes des Fahrzeugs den Schaden eines potenziellen Opfers nach den in diesem Land geltenden Regeln erstatten wird. Bislang haben sich 50 Länder in Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten dem System angeschlossen.

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Mitgliedsstatus von Kosovo

Kosovo ist derzeit das einzige europäische Land, das nicht Teil des Grüne-Karte-Systems ist. Daher müssen kosovarische Fahrzeuge, die Kosovo verlassen, eine zusätzliche Versicherung bei einem zugelassenen Versicherer abschließen, während ausländische Fahrzeuge, die nach Kosovo einreisen, an der kosovarischen Grenze eine zusätzliche Versicherung abschließen müssen. 2011 beantragte Kosovo offiziell die Mitgliedschaft im Grüne-Karte-System. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch eine Reihe von Bedingungen dafür nicht erfüllt, darunter eine hohe Zahl nicht zugelassener Fahrzeuge im Land (z.B. mit abgelaufener Zulassung oder gefälschten Kennzeichen). Seitdem wurden Fortschritte bei der Erfüllung der Bedingungen für die Mitgliedschaft erzielt. Vor allem die Zahl der nicht zugelassenen Fahrzeuge wurde drastisch gesenkt und lag 2022 bei 4,6%. Die Satzung des Council of Bureaux als verantwortliche Institution für das Grüne-Karte-System verlangt jedoch auch die UN-Mitgliedschaft als Aufnahmebedingung, was bis heute das letzte noch nicht erfüllte Kriterium ist.

Bilaterale Abkommen

Um den grenzüberschreitenden Verkehr trotz der Nicht-mitgliedschaft zu erleichtern, hat Kosovo mehrere bilaterale Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Kfz-Haftpflichtversicherungszertifikaten mit Nachbarländern initiiert. Zwischen 2002 und 2021 wurden solche bilateralen Abkommen mit Ausnahme von Bosnien und Herzegowina mit allen Westbalkan-6-Ländern geschlossen. Für diese Länder erkennt Kosovo die lokale Haftpflichtversicherung (TPL) an. Kosovaren, die in diese Länder reisen, müssen nur ein zusätzliches Versicherungspaket (TPL+ genannt) abschließen, das für alle Länder gilt, die unter die bilateralen Abkommen fallen.

Wirtschaftliche Auswirkungen – Transportsektor

Bei Fahrten über die Grenzen der Nachbarländer hinaus, mit denen Kosovo bilaterale Abkommen geschlossen hat, müssen kosovarische Fahrzeughalter an jedem Grenzübergang eine zusätzliche Versicherung abschließen. Dies gilt auch für Lkw, die Waren transportieren. Dadurch entstehen dem kosovarischen Transportsektor durch die Nichtmitgliedschaft zusätzliche Kosten, sowohl in finanzieller Hinsicht, für den Abschluss von Versicherungen, als auch in Form von Transaktionskosten durch längere Wartezeiten an der Grenze.
Um diese zusätzlichen Kosten zu veranschaulichen und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung des kosovarischen Transportsektors abzuschätzen, hat das German Economic Team beispielhaft einen Gütertransport von Pristina (Kosovo) nach Stuttgart (Deutschland) analysiert, um die Kosten gegeben der derzeitigen Situation (keine Grüne-Karte-Mitgliedschaft) mit dem hypothetischen Fall einer Mitgliedschaft Kosovos im Gründe-Karte-System zu vergleichen. Wie die Ergebnisse zeigen, sind die Kosten für einen solchen Transport ohne Mitgliedschaft deutlich höher. Selbst auf der kostengünstigsten Route mit nur vier Grenzübergängen belaufen sich die zusätzlichen Kosten für die Versicherung auf bis zu 30% der Gesamtkosten eines Hin- und Rücktransports von Pristina nach Stuttgart, wobei die Transaktionskosten aufgrund von Wartezeiten noch nicht berücksichtigt sind.
Da der Großteil des kosovarischen Warenhandels (65% der Exporte; 70% der Importe) auf Länder entfällt, mit denen Kosovo kein bilaterales Abkommen geschlossen hat, machen diese zusätzlichen Kosten Kosovo zu einem unattraktiven Standort für Transportunternehmen. Dies zeigt sich auch in den Handelsdaten, aus denen hervorgeht, dass Kosovo eines von nur zwei WB6-Ländern mit einem Handelsdefizit bei den Transportdienstleistungen ist (2022: 166 Mio. EUR).

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2020 stammte fast die Hälfte der Transportmittel für kosovarische Importe und Exporte nicht aus Kosovo. Es gibt Anhaltspunkte für die Hypothese, dass dies auch eine Verlagerung kosovarischer Transportunternehmen in die Nachbarländer andeuten könnte.

Wirtschaftliche Auswirkungen – Tourismussektor

Die fehlende Mitgliedschaft betrifft neben dem Transport- auch den Tourismussektor, der sich zu einem Schlüsselsektor der kosovarischen Wirtschaft entwickelt hat. Insbesondere betreffen die durch die Nicht-Mitgliedschaft entstehenden Kosten Diaspora-Touristen und somit den Haupttreiber des Sektors. Allein auf die drei beliebtesten Diaspora-Zielländer (DEU, CHE, AUT) entfällt bereits rund ein Drittel der Gesamtbesucherzahl sowie, angesichts des hohen Ausgabenniveaus der Diaspora, rund zwei Drittel der Einnahmen aus Dienstleistungs- und Reiseexporten.

Gerade diese wichtige Touristengruppe reist jedoch aufgrund der geografischen Nähe zu ihren Wohnsitzländern häufig mit dem Auto nach Kosovo und ist somit von der Pflicht zum Abschluss einer zusätzlichen Versicherung an der kosovarischen Grenze betroffen. In diesem Zusammenhang wird geschätzt, dass die Ausgaben für die grenzüberschreitende Kfz-Versicherung 3% der Gesamtausgaben der Diaspora während ihres Aufenthalts in Kosovo ausmachen. Aus den vom Nationalen Zentrum für Grenzmanagement veröffentlichten Echtzeitdaten geht zudem hervor, dass die Wartezeiten an der kosovarischen Grenze in Spitzenzeiten bis zu sieben Stunden betragen, was auf erhebliche Transaktionskosten für die kosovarische Diaspora in Zusammenhang mit dem erforderlichen Versicherungskauf hinweist.

Darüber hinaus verfolgt die kosovarische Regierung auch das ehrgeizige Ziel, neue Gruppen von internationalen Touristen anzuziehen, wie in der ersten Tourismusstrategie Kosovos dargelegt. Für die erfolgreiche Umsetzung dieser Agenda und den Ausbau des Tourismussektors im Land wird es entscheidend sein, praktische Lösungen zu finden, um die mit der Nichtmitgliedschaft verbundenen finanziellen und Transaktionskosten für einreisende Touristen zu verringern.

Ausblick

Die fehlende Mitgliedschaft Kosovos im Grüne-Karte-System hat negative Auswirkungen auf die kosovarische Wirtschaft, vor allem auf die Entwicklung des kosovarischen Transport- und Tourismussektors. Mögliche Lösungen für dieses Problem gibt es jedoch nur wenige: Da eine UN-Mitgliedschaft Kosovos derzeit nicht in Sicht ist, bleibt eine Änderung der Satzung des Council of Bureaux die einzige praktikable Option für einen Beitritt Kosovos zum Grüne-Karte-System. Dazu müssten 70% der Mitgliedstaaten für die Änderung stimmen, also auch einige Länder, die Kosovo nicht anerkennen. Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn man ein Abkommen mit dem Europäischen Wirtschaftsraum – dem wichtigsten Handelspartner Kosovos – über die gegenseitige Anerkennung von Haftpflichtversicherungen in Erwägung zieht. Neben Lösungen auf der politischen Ebene können auch praktische Ansätze zur Lösung des Problems der Wartezeiten für die kosovarische Diaspora und potenzielle neue Touristengruppen, insbesondere während der Hochsaison im Sommer, verfolgt werden, um die Auswirkungen auf den Tourismussektor abzumildern. Dazu gehören z.B. die Digitalisierung der Grenzabfertigung oder Werbung für den Online-Abschluss von Versicherungen.

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Dieser Newsletter basiert auf der Policy Study “Green Card membership of Kosovo – implications for transport business” und dem Policy Briefing “Green Card membership and tourism – challenges and solutions”.