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Professor Dr. Oleg Nivievskyi, Roman Neyter

Fortsetzung der Liberalisierung des Landmarktes

Die Ukraine setzt ihre Reformpläne auch in Kriegszeiten fort. Am 1. Januar 2024 begann die zweite Phase der zweistufigen Öffnung des Marktes für den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen: juristische Personen erhalten wieder das Recht, landwirtschaftliche Flächen zu erwerben, die seit 2001 unter das Moratorium fielen. Außerdem wurde die Obergrenze für den Erwerb pro Person von 100 auf 10.000 ha erhöht.

  • Ukraine
NL 183 | Januar 2024
Entwicklung des Privatsektors

Die erste Phase begann im Juli 2021 in sehr begrenztem Umfang und ist seit 2022 geprägt von den Schwierigkeiten und Unsicherheiten des Krieges. Dennoch sind erste Bewertungen der Reform recht optimistisch, und es wird erwartet, dass weitere Liberalisierungen die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Landwirtschaft und deren Aufschwung stärken werden.

Die Landmarktreform der Ukraine

Fast 71% des ukrainischen Territoriums (bzw. 42,7 Mio. ha, einschließlich der besetzten Gebiete) sind landwirtschaftliche Nutzfläche. Davon sind 33 Mio. ha Ackerland, weit mehr als 18 Mio. ha in Frankreich, 12 Mio. ha in Deutschland und 11 Mio. ha in Polen. Außerdem verfügt die Ukraine über ein Drittel der weltweit fruchtbarsten Schwarzerdeböden. In Verbindung mit anderen Faktoren wurde sie so zu einem immer wichtigeren globalen Lieferanten von Grundnahrungsmitteln sowie zu einem wesentlichen Akteur bei der nachhaltigen Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung (von Cramon-Taubadel und Nivievskyi, 2023). Ein vollwertiger Landmarkt in der Ukraine ist jedoch noch im Entstehen und soll weiteres Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion ermöglichen. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist der Markt für Pachtland der wichtigste Kanal bei Transaktionen landwirtschaftlicher Flächen für landwirtschaftliche Erzeuger und Landeigentümer. Der Markt für Käufe und Verkäufe ist erst im Juli 2021 angelaufen und war vorher aufgrund des seit 2001 geltenden Transaktionsverbots (Moratorium) praktisch nicht funktionsfähig (KSE, 2021). Seit Juli 2021 konnten Privatpersonen in sehr eingeschränktem Umfang landwirtschaftliche Flächen erwerben, wobei die Eigentumsobergrenze bei 100 ha pro Person lag, der Mindestpreis dem normativen monetären Bodenwert entsprach und ein Vorkaufsrecht für den Pächter bestand. Außerdem waren Ausländer und juristische Personen ausgeschlossen, während staatliche und kommunale landwirtschaftliche Flächen weiterhin unter das Verkaufsverbot fielen. Die Öffnung des Marktes wurde jedoch von einem umfassenden Paket von Gesetzen begleitet, das zwischen 2019 und 2021 entwickelt und verabschiedet wurde, um eine effiziente und transparente Funktionsweise zu unterstützen. Dieses zielte darauf ab, Landraub zu verhindern, die Landbewirtschaftung zu dezentralisieren und sie vom Zentralstaat auf die lokalen Kommunen zu übertragen. Außerdem diente es, elektronische Landauktionen einzuführen und Instrumente für eine umfassende Landplanung und -nutzung zu schaffen. Dazu zählte der Aufbau der nationalen Infrastruktur für Geodaten, Einrichtung von Institutionen zur Unterstützung von Kleinbauern und ihre Fähigkeit, um Land zu konkurrieren, zu stärken (z. B. Einführung des staatlichen Agrarregisters und des Fonds für partielle Kreditbürgschaften in der Landwirtschaft; KSE, 2021).

Fast zwei der zweieinhalb Jahre der ersten Phase standen unter den Herausforderungen der russischen Invasion, bei der fast 20% des ukrainischen Ackerlandes besetzt, fast ein Drittel des Agrarsektors zerstört wurde und Landwirte das zweite Jahr in Folge wirtschaftliche Verluste erlitten (Nivievskyi und Neyter, 2024: im Erscheinen bei Länderanalysen Ukraine). Sehr begrenzte Marktentwicklungen in der ersten Phase zusätzlich zu den Herausforderungen des Krieges schränkten den erwarteten Gesamtnutzen weiter ein.

Die erste Phase ist ermutigend

Zwischen Juli 2021 und Ende 2023 wurden insgesamt 195.929 Transaktionen mit einer Gesamtfläche von 432.200 ha abgeschlossen. Das bedeutet, dass 1,05% aller landwirtschaftlichen Flächen in der Ukraine oder etwa 1,25% der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Ukraine gehandelt wurden.

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Regional sind die Ergebnisse recht unterschiedlich. Es ist ein ermutigendes Ergebnis, das dieser Wert dem von Industrieländern recht nahekommt, Handel von etwa 1% jährlich und in manchen Zeiträumen bis zu 5% auf neuen Märkten (Nivievskyi et al., 2016). Gleichzeitig bremste der Krieg die Entwicklung des Marktes in der Ukraine erheblich und halbierte dessen Volumen. Grob hochgerechnet sind insgesamt etwa 120.000 Transaktionen zum Verkauf von Ackerland mit einer Gesamtfläche von ca. 355.000 ha nicht zustande gekommen und machen damit 12,4 Mrd. UAH (325 Mio. USD oder 0,2% des ukrainischen BIP) der kriegsbedingten Verluste aus.

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Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass die gehandelten Flächen in der landwirtschaftlichen Produktion verbleiben. Der Anteil, der anschließend einer nichtlandwirtschaftlichen Nutzung zugeführt wurde, betrug nur etwa 0,5%. Die Entwicklung der Preise ist ebenfalls positiv, vor allem für kommerziell genutzte Flächen. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die Wiedereinführung des Mindestpreises zu einem Rückgang der registrierten Preise führt, denn der tatsächliche Marktpreis ist im Durchschnitt viel höher als der offiziell registrierte Preis. Bei 53,4% der Transaktionen im 4Q2023 überstiegen die registrierten Preise für landwirtschaftliche Flächen den Mindestpreis um nicht mehr als 2%. Gleichzeitig lag das geschätzte Verhältnis zwischen den Pachtpreisen für kommunale landwirtschaftliche Flächen und dem eingetragenen Verkaufspreis bei 1:5, was darauf hindeutet, dass die tatsächlichen Marktpreise mindestens doppelt so hoch sind wie die offiziell registrierten.

Erwartungen und Aussichten für die zweite Phase

Der erwartete wirtschaftliche Nutzen aus der Öffnung für juristische Personen liegt in den nächsten drei Jahren bei 1-2,7% des BIP p.a. (Nivievskyi und Deininger, 2019). Das Ergebnis wird von vielen Faktoren abhängen, unter anderem von der Verfügbarkeit von Finanzmitteln und finanzieller Unterstützung für Kleinbauern. Die Finanzierung des ländlichen Raums ist von besonderem Interesse, wenn Land als zusätzlicher Vermögenswert/Sicherheit für die Aufnahme von Darlehen und Investitionen genutzt wird. Dies ist besonders wichtig während des Krieges, da erhebliche Schäden entstanden sind und die finanzielle Lage der landwirtschaftlichen Produzenten schlecht ist. Gegenwärtig ist nur ein geringer Anteil der Kredite durch Landfläche besichert, was weit unter den verfügbaren weltweiten Benchmarks liegt.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass die gehandelten Flächen in der landwirtschaftlichen Produktion verbleiben. Der Anteil, der anschließend einer nichtlandwirtschaftlichen Nutzung zugeführt wurde, betrug nur etwa 0,5%. Die Entwicklung der Preise ist ebenfalls positiv, vor allem für kommerziell genutzte Flächen. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die Wiedereinführung des Mindestpreises zu einem Rückgang der registrierten Preise führt, denn der tatsächliche Marktpreis ist im Durchschnitt viel höher als der offiziell registrierte Preis. Bei 53,4% der Transaktionen im 4Q2023 überstiegen die registrierten Preise für landwirtschaftliche Flächen den Mindestpreis um nicht mehr als 2%. Gleichzeitig lag das geschätzte Verhältnis zwischen den Pachtpreisen für kommunale landwirtschaftliche Flächen und dem eingetragenen Verkaufspreis bei 1:5, was darauf hindeutet, dass die tatsächlichen Marktpreise mindestens doppelt so hoch sind wie die offiziell registrierten.

Erwartungen und Aussichten für die zweite Phase

Der erwartete wirtschaftliche Nutzen aus der Öffnung für juristische Personen liegt in den nächsten drei Jahren bei 1-2,7% des BIP p.a. (Nivievskyi und Deininger, 2019). Das Ergebnis wird von vielen Faktoren abhängen, unter anderem von der Verfügbarkeit von Finanzmitteln und finanzieller Unterstützung für Kleinbauern. Die Finanzierung des ländlichen Raums ist von besonderem Interesse, wenn Land als zusätzlicher Vermögenswert/Sicherheit für die Aufnahme von Darlehen und Investitionen genutzt wird. Dies ist besonders wichtig während des Krieges, da erhebliche Schäden entstanden sind und die finanzielle Lage der landwirtschaftlichen Produzenten schlecht ist. Gegenwärtig ist nur ein geringer Anteil der Kredite durch Landfläche besichert, was weit unter den verfügbaren weltweiten Benchmarks liegt.

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Bei den derzeit registrierten Preisen entspricht die gesamte Marktkapitalisierung etwa 35,5 Mrd. USD. Dies kann potenziell zu zusätzlichen Krediten in Höhe von 12,4 Mrd. USD führen (bei der derzeitigen niedrigen Liquiditätsrisikokennzahl von 0,35), was bereits weit mehr ist als die derzeitige Verschuldung des Sektors bei den Banken in Höhe von etwa 3,5 Mrd. USD. Die weitere Liberalisierung, die Erhöhung der Marktliquidität und die Erstellung der erforderlichen Marktstatistiken durch die ukrainische Nationalbank zur Verbesserung des Liquiditätsrisikos von Ackerland als Sicherheit wird voraussichtlich zu einer verstärkten Nutzung und zu einer höheren Kapitalisierung des Landmarktes führen, die zu mehr verfügbaren Finanzmitteln für landwirtschaftliche Erzeuger und Landeigentümer führen könnten. Damit könnte die derzeitige Finanzierungslücke von mehr als 20 Mrd. USD für den Wiederaufbau, die Erholung und die Entwicklung der Landwirtschaft geschlossen werden (Nivievskyi, 2023). Auf dem Weg zum EU-Beitritt der Ukraine sind weitere große Liberalisierungsschritte zu erwarten, indem Kapitel 4 „Freier Kapitalverkehr“ des EU Besitzstands erfüllt wird. Dies betrifft insbesondere das Recht von Ausländern (EU-Bürger und juristische Personen), landwirtschaftliche Flächen in der Ukraine zu erwerben.

Professor Dr. Oleg Nivievskyi ist Associate Professor an der Kyiv School of Economics (KSE).

Roman Neyter ist Research Fellow am KSE Zentrum für Nahrungsmittel und Landwirtschaftsforschung (USAID-AGRO Projekt ‘Invincible Land’) und Doktorand an der Wageningen University.

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