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Aleś Alachnovič

Der Aufstieg und Fall der IT-Branche in Belarus

Seit 2005 ist die IT-Branche eine der treibenden Kräfte der belarussischen Wirtschaft gewesen, mit einem der größten BIP-Anteile in Europa. Dank besonderer Regulierungs- und Steuerbedingungen (Hi-Tech-Park, HTP) und bis zu viermal höheren Löhnen als im Landesdurchschnitt zog die IT-Branche hochqualifizierte Arbeitnehmer an und förderte bis vor kurzem die belarussischen Dienstleistungsexporte. Die anhaltende Unterstützung der belarussischen Regierung für Russland bei dessen Aggression gegen die Ukraine hat jedoch weitreichende negative Auswirkungen auf die belarussische IT-Branche. Wegen der zunehmenden Abwanderung von Mitarbeitern und der Verlagerung der erfolgreichsten IT-Unternehmen in die Nachbarländer Polen und Litauen ist die positive Entwicklung der IT-Branche seit Februar 2022 stark gefährdet.

  • Belarus
NL 80 | Januar - Februar 2023
Entwicklung des Privatsektors

Mögliche Lösungen für die derzeitigen negativen Entwicklungen in der IT-Branche hängen stark von der innenpolitischen Situation in Belarus und von der künftigen Haltung des Landes zum Krieg in der Ukraine ab.

IT-Branche als Wachstumsmotor der Wirtschaft

Die IT-Branche umfasst Softwareentwicklung, Computerprogrammierung, Beratung sowie Datenverarbeitung, Hosting und Webportale, und wird als Teil von zwei größeren Sektoren betrachtet – dem Informations- und Kommunikationstechnologiesektor (IKT-Sektor) und dem Informations- und Kommunikationssektor (IK-Sektor). Die IT-Branche macht mehr als drei Viertel sowohl des IKT- als auch des IK-Sektors aus und hat damit einen erheblichen Anteil an deren gesamter Wirtschaftsleistung. Bis vor kurzem war die IT-Branche eine der größten und am schnellsten wachsenden Branchen der belarussischen Wirtschaft. Zwischen 2016 und 2021 wuchs sie jährlich im zweistelligen Bereich (durchschnittlich über 14%) und trug 2021 5,8% zum gesamten BIP bei, verglichen mit 3,0% im Jahr 2016.

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Infolge dieses Wachstumstempos war der Anteil des IK-Sektors (für den wir international vergleichbare Daten haben) am belarussischen BIP einer der größten in Europa. Mit 7,4% des Gesamtanteils des IK-Sektors am BIP im Jahr 2021 lag Belarus auf gleicher Höhe mit Estland und übertraf damit alle anderen Nachbarländer.

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Der Hauptgrund für die Erfolge der Branche liegt in der Sonderbehandlung der privaten IT-Unternehmen innerhalb des ansonsten stark regulierten belarussischen Privatsektors (die hohe Qualität der technischen Ausbildung im Land und die Wettbewerbsfähigkeit der belarussischen IT-Entwickler spielen ebenfalls eine wichtige Rolle). Unter anderem ermöglichte der HTP den ansässigen IT-Unternehmen erhebliche Steuer- und Sozialversicherungsvorteile, wenig oder kaum staatliche Verwaltungskontrolle (bis 2020), freien Kapitalverkehr, Visaerleichterungen und ein vereinfachtes Aufenthaltsgenehmigungsverfahren für ausländische Mitarbeiter und Gründer. Hinzu kommt, dass die Löhne in der IT-Branche bis zu viermal höher sind als im Landesdurchschnitt, so dass die Zahl der Beschäftigten in der IT-Branche bis vor kurzem ständig zunahm und im Jahr 2021 88,5 Tsd. erreichte (2,4% der Gesamtbeschäftigten). Ein weiteres wichtiges Merkmal der belarussischen IT-Branche ist ihre regionale Konzentration auf die Stadt Minsk, in der fast 80% der gesamten Bruttowertschöpfung des IKT-Sektors erwirtschaftet wird, während sich der restliche Teil relativ gleichmäßig auf die sechs Regionen des Landes verteilt. Der Standort des HTP und der führenden belarussischen Universitäten in Minsk kann als wichtigster Grund für diese hohe regionale Konzentration der belarussischen IT-Branche angesehen werden.

IT-Branche als Exportmotor

Die belarussische IT-Branche ist stark exportorientiert. Im Jahr 2021 exportierte Belarus IKT-Güter und -Dienstleistungen im Wert von 3,8 Mrd. USD, was 7,5% der gesamten belarussischen Exporte und 5,5% des BIP des Landes ausmachte. Der größte Anteil der IKT-Exporte entfällt auf Dienstleistungen (hauptsächlich Computerdienstleistungen), und über 90% der IKT-Exporte gehen in den Westen (hauptsächlich in die USA und die EU). Die Einnahmen aus dem Export von IKT-Dienstleistungen haben sich zwischen 2015 und 2021 mehr als verdreifacht und erreichten 2021 einen Wert von 3,2 Mrd. US-Dollar. Mit dem anhaltenden Wachstumstrend in den letzten Jahren ist der Export von IKT-Dienstleistungen zu einem wichtigen Faktor für die Entwicklung der belarussischen Wirtschaft und besonders für die Devisenzuflüsse geworden.

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Alarmierende Abwanderungszahlen der Beschäftigten in der IT-Branche

Der anhaltende Wachstumstrend der belarussischen IT-Branche in den letzten Jahren deutete auf das große Zukunftspotenzial dieses Wirtschaftssektors hin. Die jüngsten innen- und außenpolitischen Entwicklungen, einschließlich der manipulierten Präsidentschaftswahlen im August 2020 und des Überfalls der Ukraine durch Russland, haben dieses Bild jedoch dramatisch verändert. Zwischen März und Dezember 2022 verloren kleine, mittlere und große IT-Unternehmen (d.h. ohne Kleinstunternehmen mit bis zu 15 Mitarbeitern und Einzelunternehmer) 17,2 Tsd. Beschäftigte, d.h. fast 20% der Gesamtbeschäftigten in der IT-Branche. Obwohl sich die Abwanderung von Fachkräften in der IT-Branche in den letzten Monaten verlangsamt hat, war Dezember 2022 der zehnte Monat in Folge, in dem die Zahl der Beschäftigten zurückging (um über 1 Tsd. Fachkräfte).

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Die aktuelle Abwanderung von IT-Spezialisten (nach dem 24. Februar 2022) ist größer als die Abwanderung nach August 2020. Es handelt sich also um den schwersten Schlag für die IT-Branche in Belarus in ihrer gesamten Geschichte.

Ausblick

Zum ersten Mal schrumpfte der IKT-Sektor im Jahr 2022 um 2,2% zum Vorjahr (gegenüber einem Wachstum von 9,2% im Jahr 2021). Die Abwanderung von IT-Fachkräften aus Belarus hat sich nach Ausbruch des Krieges beschleunigt. Belarussische IT-Fachleute ziehen sowohl in die EU-Länder (vor allem nach Polen und Litauen) als auch nach Osten (Georgien und Usbekistan). Die Abwanderung betrifft vor allem Fachkräfte der mittleren und höheren Qualifikationsebene. Einige der größten IT-Unternehmen haben ihre Betriebe in Belarus geschlossen (Wargaming, PandaDoc, Flo, Wannaby, OneSoil, Work-Fusion, EIS Group, Vochi, Playrix und andere). Solange das belarussische Regime nicht aufhört, Russland in seinem Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen, und die innenpolitische Krise nicht gelöst ist, wird die IT-Branche ihre führende Rolle in der belarussischen Wirtschaft kaum wiedererlangen. Da sich unter den derzeitigen Umständen die Abwanderung der erfolgreichsten IT-Spezialisten und Unternehmen fortsetzen wird, wird die belarussische IT-Branche mittelfristig stagnieren oder sogar schrumpfen und damit eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte rückgängig machen.

Aleś Alachnovič ist Leiter des Teams von CASE Belarus. Er ist Sviatlana Tsikhanouskayas Beauftragter für Wirtschaftsreformen und Vizepräsident des Verbandes der belarussischen Unternehmen im Ausland (ABBA). Er ist unter ales.alachnovic@gmail.com erreichbar.

Der Inhalt liegt in der alleinigen Verantwortung des Autors und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung des German Economic Team wider.

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Dieser Newsletter basiert auf dem Policy Briefing “IT Industry Monitoring Belarus”.