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Woldemar Walter

Chancen und Herausforderungen des Mittleren Korridors

Der sogenannte „Mittlere Korridor“ ist eine transkaspische Logistikroute, die unter Umgehung von Russland Asien mit Europa verbindet. Aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, der verhängten Sanktionen und der damit verbundenen Behinderung der Transportroute über Russland gewinnt der Mittlere Korridor zunehmend an Bedeutung. Trotz laufender Ausbaupläne und ehrgeiziger Investitionen wird der Mittlere Korridor den Landtransport über Russland jedoch auch mittel- und langfristig nicht komplett ersetzen können. Die Investitionen sind dennoch sinnvoll und notwendig zur Stärkung des Wettbewerbs und zur Diversifizierung der Transportrouten.

  • Usbekistan
NL 21 | November - Dezember 2022
Außenhandel und regionale Integration

Usbekistan sollte von dem Ausbau des Mittleren Korridors profitieren, da sich durch den Transit und den Ausbau der Infrastruktur die Anbindung an die Märkte Europas und Asiens verbessern dürfte.

Transeurasische Transportkorridore

Es lassen sich zwischen China und Europa grob zwei Transportrouten über Land unterscheiden, der Nördliche Korridor und der Mittlere Korridor. Der Nördliche Korridor verbindet Europa mit China über Russland und Kasachstan bzw. die Mongolei auf einer Zugstrecke von ca. 5.400 km.

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Der Mittlere Korridor ist eine multimodale Land- und Seetransportroute, die sich von China über Kasachstan sowie teilweise Usbekistan und Turkmenistan und über das Kaspische Meer durch Aserbaidschan und Georgien an das Schwarze Meer erstreckt. Die Route umfasst ca. 4.250 km Schienen- und ca. 500 km Seeweg. Danach führen zwei Zweige über die Türkei bzw. über das Schwarze Meer weiter nach Europa. Aufgrund geringer Transportkapazitäten und einem Zeit- und Kostennachteil spielte der Mittlere Korridor gegenüber der nördlichen Route bisher für den Handel nur eine untergeordnete Rolle. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Sanktionsbeschränkungen, u.a. das Verbot der Tätigkeit von russischen Speditionen in der EU und ein Einfahrverbot für LKW aus der EU nach Russland, kommt es zu einer Neuausrichtung wesentlicher Anteile der auf dem Landweg beförderten Waren. Davon profitiert insbesondere der Mittlere Korridor.

Chancen für den Mittleren Korridor

Der Mittlere Korridor bietet hinsichtlich der Transportzeit zwischen China und Europa mit 13 bis 21 Tagen einen deutlichen Vorteil gegenüber dem Seeweg mit 35 bis 45 Tagen.

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Aus europäischer Sicht bietet er zudem Zugang zu den wachsenden Märkten Zentralasiens und des Kaukasusraums und über die Häfen in Georgien und der Türkei ebenso einen schnelleren Zugang zum Nahen Osten, Nordafrika und dem europäischen Mittelmeerraum. Seit Beginn des Krieges hat sich das Transportaufkommen auf dem Mittleren Korridor deutlich gesteigert. In den ersten acht Monaten des Jahres 2022 erfolgte bereits eine Verdreifachung des Transportaufkommens auf 970.400 Tonnen gegenüber dem Vorjahrszeitraum. Analysen gehen davon aus, dass das Transportvolumen im Jahr 2030 auf 15 bis 18 Mio. Tonnen steigen könnte. Eine Fortsetzung des Wachstumstrends ist somit zu erwarten, hängt aber vom Ausbau der Transportkapazitäten ab.

Herausforderungen für den Mittleren Korridor

Die größte Herausforderung ist die geringe Kapazität des Mittleren Korridors, die momentan geschätzt nur etwa 5% der Kapazität des Nördlichen Korridors entspricht. Es fehlen insbesondere Transportschiffe auf dem Kaspischen Meer sowie Lokomotiven und Waggons in Aserbaidschan und Georgien. Das erhöhte Verkehrsaufkommen hat dazu geführt, dass sich die Transportzeiten aktuell teilweise auf bis zu 40 Tage verlängert haben und in einzelnen Fällen deutlich darüber hinaus. Die damit verbundenen Verzögerungen gefährden den Zeitvorteil gegenüber dem Seeweg. Eine weitere Herausforderung stellt die instabile Preisentwicklung dar. Durch die gestiegene Nachfrage sind die Transportpreise teilweise kurzfristig stark angehoben worden. Die Intransparenz des Anstiegs erschwert die Planbarkeit für Spediteure – hier spielen auch Währungsrisiken eine Rolle –, was die Attraktivität der Route ebenfalls reduziert.

Empfohlene Maßnahmen

Ein Ausbau der begrenzten Transportkapazitäten ist erforderlich, um das Transportvolumen steigern zu können. Dazu gehört insbesondere die Erhöhung der Verfügbarkeit und Kapazitäten an Schiffen, vor allem im Kaspischen Meer. Das ist allerdings nur langfristig zu erreichen, da für den Bau der Schiffe zunächst entsprechende Werften errichtet werden müssen. Ebenfalls ist der Ausbau der Eisenbahninfrastruktur und deren Elektrifizierung notwendig sowie die Erhöhung der Anzahl des Rollmaterials insbesondere im Bereich der aserbaidschanischen und georgischen Abschnitte der Eisenbahn. Erforderlich wäre auch der Ausbau der Eisenbahninfrastruktur zur Erhöhung der Umschlagkapazität in Kasachstan. Darüber hinaus ist die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten wie die Einführung elektronischer Warteschlangen an Kontrollstellen und Seehäfen zur Verkürzung der Wartezeiten an den Grenzen, die Einführung der elektronischer Transitdokumente (eTIR) und die Einrichtung einer regionalen Logistikplattform empfehlenswert.

Ausbau der Kapazitäten bereits gestartet

Der Ausbau der Kapazitäten und der Infrastruktur wurden bereits auf den Weg gebracht. Dies beinhaltet z.B. neue Containerzüge und neue Schiffsverbindungen zwischen Poti (Georgien) und Konstanza (Rumänien). Ebenso wird aktuell bereits an der Verbesserung der Schiffskapazitäten auf dem Kaspischen Meer gearbeitet. Im Bereich der Eisenbahnen wurden erste Maßnahmen umgesetzt. So hat die kasachische Eisenbahngesellschaft NC KTZ über 200 Montageplattformen an die aserbaidschanische Eisenbahn als Wagenladungshilfe übergeben.

Bedeutung des Mittleren Korridors für Usbekistan

Zwar spielt Europa als Wirtschaftsraum für den usbekischen Handel bisher noch eine untergeordnete Rolle, so gingen 2021 beispielsweise nur etwa 3% der Gesamtwarenexporte in die EU und 13% der Importe kamen aus der EU. Dennoch leidet auch der usbekische Handel unter der Unterbrechung der Transportketten und den steigenden Transportkosten, insbesondere weil Usbekistan keinen einen Zugang zum Meer hat und auf freie Transportrouten angewiesen ist. Darüber hinaus dürfte Europa bei der Diversifizierung der usbekischen Exporte in Zukunft zunehmend wichtiger werden. Allerdings bestehen für Usbekistan auch Chancen, da durch den Ausbau des Mittleren Korridors die Warenströme näher an Usbekistan heranrücken und teilweise auch durch Usbekistan verlaufen, was die Integration in internationale Wertschöpfungsketten erleichtern sollte. Usbekistan exportiert bereits jetzt zunehmend über den Hafen im turkmenischen Turkmenbaschy. Auch dürfte der Mittlere Korridor dazu beitragen die Pläne Usbekistans zu verwirklichen, sich als regionaler Logistikhub zu etablieren.

Fazit

Der Mittlere Korridor erfährt eine zunehmende Bedeutung durch die Behinderung der Transportströme über Russland. Es zeigen sich aber bereits ernsthafte Kapazitätsengpässe bei der Eisenbahn und noch stärker bei Schiffen auf dem kaspischen Meer. Durch geplante Investitionen wird die Kapazität und damit auch das Transportvolumen in den kommenden Jahren voraussichtlich weiterhin stark wachsen. Diese Entwicklung ist zu begrüßen, weil sie den Wettbewerb stärkt und die Abhängigkeit von dem immer noch dominierenden Transport über Russland senkt. Selbst bei Umsetzung aller Investitions- und Reformpläne wird der Mittlere Korridor den Nördlichen Korridor allerdings nicht ersetzen können. Usbekistan dürfte durch den Ausbau des Mittleren Korridors mittelfristig durch die bessere Anbindung an internationale Wertschöpfungsketten und Märkte profitieren.

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Dieser Newsletter basiert teilweise auf der Technical Note „Transport- und Handelskorridore in der Kaspischen Meerregion, Kaukasus und Südosteuropa“.