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Sebastian Staske

Zuzug aus Russland und Belarus treibt die Wirtschaft an

Bis Ende Mai sind als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine rund 45.000 Menschen aus Russland und Belarus nach Georgien gekommen. Eine Umfrage des German Economic Teams vom Juni zeigt, dass es sich dabei meist um junge, hochqualifizierte Städter handelt.

  • Georgien
NL 48 | September - Oktober 2022
Arbeitsmarkt und Migration

Durch ihre hohen Einkommen und Konsumausgaben sind sie zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor ge-worden. Bereits auf Grundlage der Mai-Zahlen schätzen wir die zusätzlichen Ausgaben auf 330 Mio. USD (1,8 % des BIP) im Jahr 2022. Der Zuzug hat damit zu der guten Wirtschaftslage in Georgien und der Aufwertung des Lari in diesem Jahr beigetragen. Der Wunsch vieler Menschen, für längere Zeit zu bleiben, sowie der jüngs-te Zustrom von Menschen aufgrund der Teilmobilisie-rung in Russland lassen erahnen, dass das Thema bis weit ins Jahr 2023 aktuell bleiben wird. Da die meisten der zugezogenen Menschen einen Hintergrund in der IKT haben, kann der Zustrom auch eine Chance für die Entwicklung dieses Sektors sein.

Zustrom von 45.000 Menschen bis Ende Mai

Unmittelbar nach Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 kam es zu einem starken Zustrom von Menschen aus Russland und Belarus nach Georgien. (In unserer Analyse lassen wir die Ukraine außen vor, da sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge und ihre Fluchtmotive stark von denen Russlands und von Belarus unterscheiden).

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Insgesamt sind von Kriegsbeginn bis Ende Mai ca. 31.000 Menschen aus Russland und 14.000 aus Belarus nach Georgien gekommen. Da diese Zeitspanne außerhalb der üblichen Urlaubszeit im Sommer liegt, dürfte der Anstieg der Besucherzahlen zu einem großen Teil auf den Zuzug zurückzuführen sein.

Methodik der GET-Umfrage

Das German Economic Team führte in Zusammenarbeit mit dem lokalen Forschungsinstitut CRRC-Georgia eine Befragung dieser zugezogenen Personen durch. Insgesamt wurden 366 Personen, die nach dem 24. Februar nach Georgien gezogen sind, im Juni befragt. Die Interviews wurden überwiegend persönlich und zusätzlich online durchgeführt. Angesichts der Größe der Stichprobe und der Art der Methodik sollten die Ergebnisse nicht für die gesamte Gruppe der Zugezogenen verallgemeinert werden. Es ist jedoch auch anzumerken, dass eine „repräsentative“ Stichprobe bisher nicht definiert werden kann, da derzeit keine Datenbank für die gesamte Bevölkerungsgruppe verfügbar ist.

Meist hochqualifizierte Personen, viele aus IKT-Sektor

Unsere Umfrage bestätigte anekdotische Berichte, wonach die meisten der Zugezogenen junge Städter mit höherer Bildung sind. Angesichts ihres hohen Qualifikationsniveaus überrascht es nicht, dass die meisten (74%) erwerbstätig sind, wobei die Mehrheit in hochqualifizierten Berufen arbeitet. Etwa zwei Drittel arbeiten als Angestellte, davon etwa ein Viertel in einem russischen Unternehmen (georgische Firmen: 21%). Bei den Branchen sticht der Sektor Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) deutlich hervor, in dem 59% der erwerbstätigen Befragten tätig sind.

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Fast zwei Drittel der Befragten (65%) kamen mit einem Partner nach Georgien, 38% kamen mit Kindern. Die Umfrageergebnisse deuten auf eine durchschnittliche Haushaltsgröße von etwa zwei Personen hin. Etwa zwei Drittel der befragten Personen mieten ihren Wohnraum direkt von einer Privatperson. Der Umzug nach Georgien wurde hauptsächlich mit der Sicherheit und der leichten Erreichbarkeit begründet. Die meisten Befragten gaben an, bei ihrem Umzug keine Probleme gehabt zu haben.

Hohe Einkommen und Ausgaben

Angesichts ihres hohen Qualifikationsniveaus überrascht es nicht, dass die zugezogenen Menschen in der Regel auch ein hohes Einkommen erzielen. Die Unterschiede sind zwar relativ groß, aber im Durchschnitt lag das Haushaltseinkommen bei etwa 2.600 USD, wovon der größte Teil auf das Gehalt des Befragten oder des Partners entfällt, während Ersparnisse oder aus dem Ausland erhaltene Gelder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Infolge des hohen Einkommens sind auch die Ausgaben hoch und liegen pro Monat und Haushalt bei durchschnittlich 1.600 USD. Ein erheblicher Faktor bei den Ausgaben sind die Mieten: Mit 590 USD liegen sie weit über den Vorkriegsmieten und erklären den starken Anstieg des Mietniveaus. Entgegen ersten Berichten gaben die meisten Befragten an, ein Jahr oder länger bleiben zu wollen (40%), und weitere 19% planten einen Aufenthalt von mindestens sechs Monaten.

Zusätzliche Konsumausgaben als Wirtschaftstreiber

Da sowohl die Zahl der Zugezogenen als auch ihre Ausgaben hoch sind und sie den Wunsch haben, über einen längeren Zeitraum zu bleiben, ist klar, dass sie zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden sind. Die Kombination der Daten über die Zuwanderung von Personen mit den Umfrageergebnissen ermöglicht eine Schätzung der gesamten zusätzlichen Konsumausgaben in Georgien. Für die Monate März bis Mai lagen Daten über den Bestand an Besuchern vor. Für die Zeit ab Juni haben wir angenommen, dass der Bestand auf dem Wert von Ende Mai konstant bleibt, d.h. 45.000 Personen (oder 22.500 Haushalte). Bei durchschnittlichen monatlichen Haushaltsausgaben von 1.600 USD würde sich der gesamte zusätzliche Konsum im Jahr 2022 auf ca. 330 Mio. USD oder 1,8% des BIP belaufen.

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Dies ist ein beachtlicher positiver Schock für die Zahlungsbilanz, der andere negative Schocks (z.B. durch höhere Energiepreise) abmildert. Er erklärt auch zum Teil, warum Georgiens Wirtschaft so gut läuft (8M2022: +10,3% zum Vj.) und der Lari, nach einer anfänglichen Abwertung im März, im Laufe des Jahres deutlich aufwertete (+9% zum Vj. gegenüber dem US-Dollar vom 1. Januar bis 30. September).

Armenien erlebt aktuell ebenfalls einen starken Zustrom von Menschen aus Russland. Daher hat das German Economic Team dort eine ähnliche Studie durchgeführt. Die Ergebnisse sind im Wesentlichen vergleichbar, d. h. es kamen hauptsächlich junge, hochqualifizierte Städter mit einem Hintergrund im IKT-Sektor. Insgesamt ist der geschätzte Effekt geringer (1,2% des BIP), da weniger Menschen zugewandert sind (ca. 28.000) und die durchschnittlichen monatlichen Haushaltsausgaben geringer sind (1.300 USD).

Ausblick

Die Sanktionen gegen Russland und Belarus werden wahrscheinlich auf absehbare Zeit aufrechterhalten, sodass die wirtschaftlichen Aussichten in diesen Ländern düster bleiben werden. Infolgedessen planen viele Menschen, länger in Georgien zu bleiben als ursprünglich erwartet. Darüber hinaus hat die Ankündigung der Teilmobilisierung in Russland im September zu einer neuen Welle von Menschen geführt, die in Georgien Sicherheit suchen. Der Zuzug aus Russland und Belarus wird daher bis weit in das Jahr 2023 hinein ein bestimmendes Thema bleiben. Der jüngste Zustrom wird wahrscheinlich die sozioökomische Zusammensetzung der zugezogenen Menschen verändern. Unabhängig davon kann der vorangegangene starke Zustrom von jungen Menschen mit einem IKT-Hintergrund in Verbindung mit ihrem Wunsch, länger zu bleiben, eine Chance für die Entwicklung dieses Sektors in Georgien darstellen.

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Dieser Newsletter basiert auf der Policy Study „Relocation of people from Russia and Belarus to Georgia: results of survey and economic implications“. Die Studie zum gleichen Thema für Armenien finden Sie hier.