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Sebastian Staske, Dmitry Chervyakov

Zuwanderung aus Russland: Ergebnisse der GET-Umfragen

Im Zuge des Kriegs in der Ukraine erlebte Armenien letztes Jahr einen starken Zustrom von Migranten aus Russland. Bis November 2022 kamen und blieben rund 55.000 Menschen. Das German Economic hat diesen Zustrom genauer untersucht. Insgesamt handelt es sich tendenziell um junge Fachkräfte, häufig in der IT-Branche tätig, die relativ mobil sind. Ihre hohen Einkommen und Ausgaben machen sie zu einem wichtigen Treiber für den Konsum.

  • Armenien
NL 10 | März - April 2023
Arbeitsmarkt und Migration

Auf Basis der in Zusammenarbeit mit CRRC Armenia durchgeführten Umfragen schätzen wir, dass die zusätzlichen Konsumausgaben durch die Zuwanderung letztes Jahr rund 2,0% des BIP ausgemacht haben. Sie haben somit entscheidend zum hohen Wirtschaftswachstum (12,6%) beigetragen. Da viele Zugewanderte planen, auch 2023 in Armenien zu bleiben, könnten die Konsumausgaben dieses Jahr auf 2,6% des BIP steigen. Für Armeniens Wirtschaft ergibt sich somit ein positiver kurzfristiger Schock. Mittelfristig ergeben sich Chancen für den lokalen IT-Sektor, allerdings auch Risiken, sofern es zu einer Abwanderungswelle kommt.

Starke Migration aus Russland nach Armenien

Der Krieg in der Ukraine und die Folgen der internationalen Sanktionen gegen Russland haben 2022 eine große Emigrationswelle aus Russland ausgelöst. Armenien erlebte in der Folge eine starke Zuwanderung. Einer ersten Welle direkt nach Beginn des Kriegs folgte im September, nach der Ankündigung der Teilmobilisierung in Russland, eine zweite Welle. Bis November 2022 sind insgesamt schätzungsweise 55.000 Personen aus Russland gekommen und in Armenien geblieben, was rund 1,8% der armenischen Gesamtbevölkerung entspricht.

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Zwei GET-Befragungen schaffen Datengrundlage

Zu Beginn des Zustroms gab es nur unzureichende Erkenntnisse über diese Personengruppe. Zur Verbesserung der Datengrundlage führte das German Economic Team gemeinsam mit dem lokalen Forschungsinstitut CRRC Armenia zwei Befragungen durch – zuletzt im Dezember 2022. Zu diesem Zweck wurden 500 Personen befragt, hauptsächlich persönlich und teilweise per Telefon, wobei die zweite Welle rund 57% der Stichprobe ausmacht. Aufgrund der Methodik sind die Ergebnisse nur eingeschränkt repräsentativ. Allerdings liegen bisher nicht genügend Informationen über die Zugewanderten für eine vollständig repräsentative Erhebung vor.

Zuwanderung von jungen Hochqualifizierten

Aufgrund der Methodik haben zwar alle Befragten die russische Staatsbürgerschaft. Bemerkenswert ist aber, dass nur 63% der Befragten ethnische Russen sind und ethnische Armenier immerhin 14% ausmachen. Überwiegend handelt es sich um junge Leute (Medianalter: 29 Jahre) mit höheren Bildungsabschlüssen (drei Viertel der Stichprobe mit Bachelorabschluss oder höher). Daher ist es nicht überraschend, dass 78% einer Beschäftigung nachgehen. Unter den Erwerbstätigen ist sektoral die starke Bedeutung der IKT-Branche (41%) und in Bezug auf die Art der Beschäftigung, der hohe Anteil an hochqualifizierten Tätigkeiten (77%) hervorzuheben. Die meisten Beschäftigten arbeiten für ein Unternehmen (71%), wobei der Anteil an armenischen Arbeitgebern (43%) recht hoch ist. Nur ein kleiner Teil (16%) hat bisher ein Gewerbe in Armenien angemeldet. Rund ein Drittel lebt zusammen mit einem Partner, 16% leben allein. Ein Bruchteil der Befragten (12%) ist mit Kindern gekommen. Der Median der Haushaltsgröße liegt bei zwei Personen. Insgesamt ergibt sich damit das Bild von mehrheitlich hochqualifizierten, relativ mobilen Fachkräften.

Durchschnittseinkommen und -ausgaben sehr hoch

Die meisten Zuwanderer leben von eigenen Erwerbseinkommen oder dem Erwerbseinkommen des Partners (im Durchschnitt rund 80% der Einkommen). Aufgrund ihres guten Qualifikationslevels können sie meist hohe Einkommen erzielen. Das durchschnittliche monatliche Haushaltseinkommen beträgt 3.088 USD. Allerdings ist die Streuung der Einkommen breit: Die Hälfte der Haushalte hat ein Einkommen bis 1.500 USD (Median), während knapp ein Fünftel mehr als 3.000 USD zur Verfügung hat. Auch die durchschnittlichen monatlichen Haushaltsausgaben liegen mit 1.622 USD sehr hoch. Die Verteilung ist hier etwas gleichmäßiger als bei den Einkommen. Ein wesentlicher Teil der Ausgaben entfällt auf die Miete, die etwa ein Drittel ausmacht.

Vielfältige Gründe für Wahl von Armenien als Zielort

Die Zugewanderten begründeten ihre Wahl von Armenien als Zielland häufig mit zweckmäßigen Gründen (z.B. einfache Erreichbarkeit mit 24%), dem höheren Level an Freiheit und Demokratie (15%) oder arbeitsbedingten Gründen (rund 10%). Allerdings fallen auch hier wieder die familiären oder ethnischen Verbindungen auf, die zusammen bei rund 20% der Stichprobe ein Hauptgrund waren. Ein knappes Viertel der Befragten hat keine größeren Schwierigkeiten im Alltag erlebt. Probleme ergaben sich vor allem bei der Suche nach einer Unterkunft (30%) und der Eröffnung eines Bankkontos (18%).

Viele Zugewanderte wollen länger bleiben

Neben den Einkommen und Ausgaben spielt vor allem die Dauer des Aufenthalts eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwanderung. Bemerkenswert ist hierbei, dass 45% der Befragten noch länger als ein Jahr in Armenien bleiben wollen. Selbst nach Ende des Kriegs wollen 27% in Armenien bleiben und 34% gar nicht nach Russland zurückkehren. Die Faktoren, welche die Aufenthaltsdauer beeinflussen, sind vielfältig. So wurde die Möglichkeit, woanders hinzuziehen, die Dauer des Kriegs in der Ukraine und die eigene finanzielle Situation jeweils von knapp einem Fünftel der Befragten genannt. Die Ergebnisse deuten somit zwar grundsätzlich auf eine gewisse Mobilität hin, bieten aber für die kurze Frist keine Anzeichen für eine Umkehrung der Migrationsströme. Ein Teil der Zuwanderer könnte sogar mittel- bis langfristig im Land bleiben.

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Starker Treiber für Konsumausgaben

Wenn man diese Ergebnisse zusammen betrachtet, erlebte Armenien somit einen hohen Zustrom von meist hochqualifizierten Personen mit hohen Ausgaben, die zumindest 2023 mehrheitlich im Land bleiben werden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Konsumausgaben der Zuwanderer ein wesentlicher Treiber für den privaten Konsum und damit das BIP sind. Wir schätzen, dass die Zuwanderung letztes Jahr zusätzliche Konsumausgaben in Höhe von 372 Mio. USD (2,0 % des BIP) bewirkt hat. Damit war sie ein wesentlicher Faktor für das sehr hohe Wirtschaftswachstum (12,6%). Auch 2023 könnten die Zuwanderer noch Impulse für das Wachstum geben: Wenn der Bestand an Zuwanderern auf dem Niveau von November 2022 (rund 55.000) bleiben sollte, ergäben sich dieses Jahr Konsumausgaben in Höhe von 533 Mio. USD (2,6% des BIP).

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Das German Economic Team hat eine vergleichbare Studie auch in Georgien durchgeführt, wobei die Ergebnisse im Allgemeinen ähnlich sind. Zu den auffälligsten Unterschieden gehört die deutlich höhere Unsicherheit in Bezug auf die geplante Aufenthaltsdauer (46% wissen es nicht). Trotz höherer Zuwanderung (rund 100.000) ergibt sich dort 2022 durch die geringeren Durchschnittsausgaben ein ähnlicher Effekt auf den privaten Konsum wie in Armenien (ebenfalls 2,0% des BIP).

Ausblick

Die starke Zuwanderung aus Russland war letztes Jahr ein positiver wirtschaftlicher Schock für Armenien. Vielfach handelt es sich bei den Zugewanderten um junge Hochqualifizierte, häufig im Bereich IT, was Chancen für den lokalen IT-Sektor bringt. Gleichzeitig deuten die Ergebnisse auf ein relativ hohes Maß an Mobilität der Gruppe hin. Eine langfristige Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft könnte dazu beitragen, dass sich der positive Effekt auch längerfristig auf die armenische Wirtschaft auswirkt. Andernfalls besteht die Gefahr einer Abwanderung, spätestens nach Kriegsende, die einen negativen Schock für die Wirtschaft auslösen könnte.

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Bild: ©Miha Creative-stock.adobe.com

Dieser Newsletter basiert auf der Policy Study „Relocation of people from Russia to Armenia: results of 2nd survey and update of economic implications“. Die Studie zum gleichen Thema für Georgien finden Sie hier.