Wirtschaftswachstum unterstützt die Resilienz
Russlands Krieg dauert nun schon mehr als 600 Tage und verursacht massives humanitäres Leid. Das ukrainische BIP fiel 2022 um 29,1% gegenüber dem Vorjahr. Dieses Jahr wird die Wirtschaft moderat um 4,1% wachsen, weil kriegsbedingte Faktoren die Wachstumsperspektiven weiterhin beschränken, und 2024 wird sich das Wachstum auf 5,5% beschleunigen. Während privater Konsum und Investitionen auf den Wachstumspfad zurückkehren und die Handels- und Transportsektoren den neuen Bedingungen in ihren Lieferketten anpassen, nehmen die Schäden an der kritischen sozialen Infrastruktur weiter zu und halten die Ukrainer im Ausland davon ab, zurückzukehren.
Dabei ist die Sicherung der Haushaltsfinanzierung grundlegend, um die Wirtschaft und Reparatur kritischer Infrastruktur am Laufen zu halten. Die Auszahlung von Finanzhilfen sowie von eingefrorenen russischen Reserven und/oder den damit erzielten Einnahmen werden wichtig sein, um die Haushaltslücke für 2024 bis 2027 zu schließen. Sowohl die Finanzierungs- als auch die Wirtschaftsprognose unterliegen jedoch weiterhin großen Unsicherheiten über die weitere Kriegsentwicklung.
Wachstum, aber keine Erholung
Das BIP der Ukraine ist im Jahr 2022 um 29.1% gefallen. Obwohl wir für 2023 ein Wirtschaftswachstum von 4,1% und für 2024 von 5,5% prognostizieren, ist die Ukraine von einer vollständigen Erholung weit entfernt, da das BIP 2024 voraussichtlich 22% unter dem Vorkriegsniveau bleiben wird.
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Angebotsseite: Allmähliche Anpassung
Auf der Angebotsseite sind die wichtigsten Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit stark beeinträchtigt. Die Schäden an der Infrastruktur belaufen sich auf mehr als 151 Mrd. USD (Stand: Sep-23) und vor allem zerstörte Wohngebäude sind ausschlaggebend dafür, dass die fünf Millionen Ukrainer im Ausland nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Diese Entwicklungen schränken die wirtschaftliche Entwicklungsperspektive ein und betreffen alle wichtigen Sektoren. Während die Wetterbedingungen sehr günstig sind, wird die Wachstumsperspektive des Landwirtschaftssektors durch zerstörte und verminte Ackerflächen eingeschränkt, ebenso wie die Erholung des Industriesektors durch beschädigte Produktionsanlagen und besetzte ehemalige Zentren, wie etwa in Mariupol.
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Handel und Transport werden zu einem gewissen Grad von der Erholung der Binnennachfrage profitieren, befinden sich aber weiterhin im Anpassungsprozess.
Nachfrageseite: Langsames Wachstum
Der private Konsum (7,9% bzw. 6,3%) ist Haupttreiber des Wirtschaftswachstums, was auf die leicht verbesserte Arbeitsmarktsituation und die in den Vorjahren angesammelten Ersparnisse zurückzuführen ist. Die Investitionen steigen aufgrund des Baubedarfs, aber ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau, und werden durch Finanzierungsprobleme und fehlende staatliche Investitionsausgaben gebremst. Infolgedessen werden die realen Bruttoanlageinvestitionen 2023 um 11% und 2024 um 9,2% zunehmen. Es wird erwartet, dass die realen Exporte 2023 weiter zurückgehen und erst 2024 wieder wachsen werden, da sich die Logistik immer noch an die Herausforderungen durch die Besetzung wichtiger Vorkriegs-Exportrouten über das Asowsche Meer und die Handelsbeschränkungen durch einige EU-Nachbarländer anpassen muss. Da sich die realen Importe leicht erholen, wird erwartet, dass das Handelsdefizit weiter ansteigt.
Leistungsbilanz im Defizit
Wir schätzen, dass Finanzhilfen und Rücküberweisungen als Teil des Sekundäreinkommens das Handelsdefizit nicht decken werden. Diese Schätzung spiegelt zum Teil die zu erwartenden geringeren Zuschüsse für den Staatshaushalt wider. Somit prognostizieren wir 2023 ein Leistungsbilanzdefizit von 5,7% und 2024 von 7,9% des BIP.
Inflation: Rückgang schneller als erwartet
Die Inflation verlangsamte sich stärker als erwartet und erreichte im September 7,1%. Diese Entwicklung ermöglichte es der Nationalbank, den Leitzins im zweiten Halbjahr dieses Jahres in drei Schritten von 25% auf 16% p.a. zu senken. Wir gehen davon aus, dass die Inflation im Dezember 2024 als Reaktion auf den stärkeren Nachfragedruck durch privaten Konsum wieder auf 10% ansteigen wird. Die Prognose unterliegt jedoch der Annahme, dass eine monetäre Haushaltsfinanzierung 2024 vermieden wird, wie dies im Laufe 2023 zeitweilig geschehen ist.
Haushaltsdefizit: Abhängig von internationaler Hilfe
Dabei kommt die Fiskalpolitik ins Spiel. Die internationalen Finanzhilfen in Form von Zuschüssen und vergünstigten Darlehen erreichten 2023 34 Mrd. USD und übertrafen bereits den Betrag des letzten Jahres. Allerdings verfügt die Ukraine bisher noch nicht über ausreichende Zusagen für das nächste Jahr. Der Haushaltsentwurf für 2024 sieht 42 Mrd. USD an externen Mitteln vor. Bisher haben die USA die finanzielle Unterstützung für die Ukraine für das Ende dieses und das nächste Jahr noch nicht beschlossen. Gleichzeitig wird die EU bis zum Ende dieses Jahres monatliche Auszahlungen bereitstellen. Für die Jahre 2024 bis 2027 hat das Europäische Parlament eine Fazilität in Höhe von 50 Mrd. EUR angenommen, von denen etwa 75% als Budgethilfe (Säule I) vorgesehen sind. Die Auszahlungen würden vierteljährlich auf Grundlage erfüllter Konditionalitäten erfolgen. Für diesen Zeitraum reichen die derzeitigen finanziellen Zusagen jedoch nicht aus, um die gesamte prognostizierte Lücke zu finanzieren.
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Der IWF rechnet für diesen Zeitraum mit einem kumulierten Haushaltsdefizit von 85,5 Mrd. USD. Die Zusagen belaufen sich jedoch auf lediglich 52 Mrd. USD. Daraus ergibt sich eine Lücke von 33,5 Mrd. USD. Erstens ist eine Strategie zur Steigerung der Einnahmen erforderlich, um die Lücke zu verringern. Zweitens müssen die Partner der Ukraine Möglichkeiten finden, einen nachhaltigen Zugang zu Finanzierungsmitteln zu ermöglichen. Die Schaffung rechtlicher Lösungen zur Verwendung eingefrorener russischer Reserven wäre eine dringend benötigte Unterstützungsform. Dabei wurde die Übertragung damit generierter Einnahmen an die Ukraine und die spätere Verwendung der Reserven vom Europäischen Parlament bei der Genehmigung der Fazilität als Option genannt. Bei der Betrachtung der prognostizierten Schuldenquoten für 2023 bzw. 2024 von etwa 87% bzw. 89% des BIP wird diese Finanzierungsquelle an Prioritäten gewinnen. Weitere Kreditprogramme, wenn auch vergünstigt, würden die Wahrscheinlichkeit einer Schuldenrestrukturierung erhöhen, falls russische Aktiva nicht genutzt würden.
Ausblick
Die erwähnten fiskalischen Herausforderungen berücksichtigen noch nicht die außerordentlich hohen Kosten für den Wiederaufbau, die bereits 411 Mrd. USD überschreiten. Während bei der Einrichtung von Koordinierungsinstitutionen Fortschritte erzielt wurden, sind folgende Fragen weiterhin offen, die auch für die Wiederaufbaukonferenz in Deutschland 2024 relevant werden:
- Kontinuierliche internationale Unterstützung in Form von Zuschüssen vs. Darlehen
- Partnerschaft zwischen privaten Investoren und öffentlichen Institutionen über Investitionsgarantien
- Weitere rechtliche Schritte zur Verwendung eingefrorener russischer Reserven
Diese Ziele und die gesamten makroökonomischen Prognosen hängen jedoch vom weiteren Kriegsverlauf ab. Alles in allem bleibt jedoch die gemeinsame Anstrengung zwischen der Ukraine und ihren internationalen Partnern, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, die wichtigste Voraussetzung für die künftigen Wirtschaftswachstumsperspektiven der Ukraine.
Dieser Newsletter basiert auf der gemeinsamen Wirtschaftsprognose für 2023 und 2024 des Instituts für Wirtschaftsforschung und Politikberatung und des German Economic Team und des bald erscheinenden Wirtschaftsausblickes.