Wirtschaftliches Risikopotenzial gegenüber Russland bleibt stabil
Im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine haben einige Beobachter die These aufgestellt, dass Georgiens wirtschaftliches Risikopotenzial gegenüber Russland stark gestiegen sei. Eine Analyse verschiedener Indikatoren zeigt jedoch, dass in vielen Fällen keine strukturelle Abhängigkeit besteht, sondern vorrübergehende Sondereffekte ausschlaggebend sind.
So lassen sich die stark erhöhten Importe von Erdölprodukten durch den Preisabschlag auf russisches Urals-Öl und der hohe Anstieg bei den Geldtransfers u.a. durch Zuwanderung erklären. Bei den Exporten von Agro-Food-Produkten besteht jedoch weiterhin ein hohes Risikopotenzial, das sich durch bereits etablierte Geschäftsbeziehungen und regionale Markenbekanntheit erklären lässt. Die Diversifizierung der Exportmärkte, auch in Richtung EU, ist kurzfristig nur schwer zu erreichen, bleibt aber ein wichtiges Ziel.
Risikopotenzial durch strukturelle Abhängigkeit
Mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine sind auch Georgiens Wirtschaftsbeziehungen zu Russland stärker in den Fokus gerückt. Einige Beobachter behaupten, dass das wirtschaftliche Risikopotenzial („Exposure“) deutlich zugenommen hätte. Um dies zu überprüfen, haben wir relevante Indikatoren und deren Veränderung im Jahr 2022 untersucht. Es ist jedoch wichtig, die wirtschaftlichen Verflechtungen vom Risikopotenzial zu unterscheiden. Während Ersteres ein weit gefasstes Konzept ist, definieren wir Letzteres enger als eine strukturelle Abhängigkeit, die kurzfristig nur schwer zu verändern ist. Mit anderen Worten: Ein steigender Indikator bedeutet nicht unbedingt ein höheres Risiko, da auch die Gründe hierfür berücksichtigt werden müssen. Dabei ist es auch wichtig, zwischen Anstiegen zu unterscheiden, die wahrscheinlich vorübergehend sind, und solchen, die eher dauerhaft zu sein scheinen.
Warenexporte: Exposure sinkt, hoch bei Agro-Foods
Die Warenexporte nach Russland stiegen 2022 leicht um 7% zum Vorjahr auf 652 Mio. USD (andere Regionen: +36%). Der Anteil an den Gesamtexporten fiel auf 12% (2021: 14%). Ein Großteil des Anstiegs entfiel auf Re-Exporte von Kraftfahrzeugen. Ausgelöst durch einen Rückgang der Exporte von Ferrosiliciummangan (-37% zum Vj.) aufgrund protektionistischer Maßnahmen Russlands gingen die inländischen Exporte leicht zurück (-3%). Abgesehen von diesem Rohstoff konzentrieren sich die inländischen Exporte traditionell auf Agro-Food-Produkte.
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Hier war die Bedeutung Russlands schon immer hoch und hat im letzten Jahr noch zugenommen: Wein (64% der Exporte nach Russland), Spirituosen (56%) und Wasser (47%) zeigen ein erhebliches Exposure. Bei Wein und Spirituosen ist auch ein deutlicher Anstieg der Exportmengen zu verzeichnen. Dies ist möglicherweise auf die geringeren EU-Verkäufe zurückzuführen, die durch zusätzliche georgische Exporte ersetzt wurden. Andere Agrarexporte sind wertmäßig begrenzt, aber das sehr hohe Risikopotenzial (teilweise über 90%) bleibt bestehen.
Warenimporte: Abschlag für Urals-Öl erklärt Anstieg
Die Warenimporte aus Russland lagen bei 1,8 Mrd. USD und machten 14% der Gesamtimporte aus (2021: 10%). Der deutliche Anstieg (78% zum Vj.) lässt sich vor allem durch stark erhöhte Importe von Erdölprodukten erklären. Vor Beginn des Krieges waren diese gut diversifiziert; 2021 lag Russlands Anteil bei 18%. 2022 stieg der Wert auf 49% und liegt aktuell bei rund 75%. Auf den internationalen Märkten wird russisches Urals-Öl seit Kriegsbeginn mit einem Preisabschlag im Vergleich zu anderen Sorten gehandelt. Die erhöhten Importe von Erdölprodukten sind somit eine vorübergehende Reaktion auf die Preisentwicklung. Durch die Lage Georgiens am Meer könnten diese allerdings relativ leicht von anderen Ländern bezogen werden, wenn der Preisunterschied nachlässt. Das Risikopotenzial hat sich also nicht erhöht, da eine Re-Diversifizierung möglich ist.
Tourismus: Statistiken durch Zuwanderung aufgebläht
Für Georgiens wichtigen Tourismussektor ist Russland seit jeher ein Hauptherkunftsland, auf das etwa 20‑25% der Tourismuseinnahmen entfallen. Die Daten für 2022 wurden jedoch durch die Zuwanderung aus Russland stark beeinflusst. Im ersten Jahr ihres Aufenthalts werden diese Personen als Touristen (und nicht als Einwohner) gezählt, was die Einnahmenstatistiken aufbläht. Daher kann für 2022 keine abschließende Aussage über die Entwicklung des Risikopotenzials getroffen werden.
Geldtransfers: Starker Anstieg durch Sonderfaktoren
Ein weiterer Indikator, der letztes Jahr auf großes Interesse stieß, waren Geldtransfers. Sie haben sich 2022 auf 2,1 Mrd. USD verfünffacht, was 47% des Gesamtvolumens entspricht. Normalerweise sind Geldtransfers ein guter Indikator für Rücküberweisungen im engeren Sinne (d. h. Geld, das nach Hause geschickt wird, um Verwandte in Georgien zu unterstützen). Der starke Anstieg lässt sich jedoch durch Sonderfaktoren im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine erklären, vor allem durch Zuwanderung, Kapitalflucht und Arbitragemöglichkeiten. Darüber hinaus erließ Russland neue Beschränkungen für den Kauf von Krypto-Vermögenswerten, die umgangen wurden, indem das Geld durch Georgien geleitet wurde. Insgesamt stellt der Anstieg der Geldtransfers daher kein höheres Risikopotenzial dar.
FDI: Erfassung schwierig, aber Anzeichen für Rückgang
Der Anteil Russlands an den ausländischen Direktinvestitionen lässt sich im Allgemeinen nur schwer bestimmen, da viele Investoren ihre Unternehmen in Ländern mit günstigen Steuer- und Schiedsgerichtsgesetzen registrieren lassen. Das erschwert die Feststellung des eigentlichen Eigentümers, wodurch Russlands Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen unterschätzt wird.
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2022 gab es mit Borjomi-Mineralwasser jedoch ein Fallbeispiel. Vor dem Krieg wurde das Unternehmen von der russischen Alfa-Gruppe kontrolliert. Dies führte zu Problemen im Zusammenhang mit den internationalen Sanktionen. Die Produktion wurde im April 2022 eingestellt und die Exporte von Mineralwasser gingen deutlich zurück. Als Lösung übernahm die Regierung im Juni 2022 einen Teil der Anteile des russischen Investors, wodurch sich das Exposure reduzierte.
Vergleich mit Armenien: insgesamt ähnliche Ergebnisse
Das German Economic Team führte eine vergleichbare Studie für Armenien durch. Es gibt einige Ähnlichkeiten, da Armenien 2022 ebenfalls eine starke Zuwanderung von Menschen aus Russland erlebte, was sich auf die Statistiken für Tourismus und Geldtransfers auswirkte. Allgemein war das Exposure Armeniens schon immer viel höher. Insbesondere im Warenhandel (Anteil Russlands am Gesamthandel bei rund 30%) ist das Risikopotenzial nach wie vor hoch, auch wenn die jüngsten Exportsteigerungen auf Re-Exporte zurückzuführen sind
Ausblick
Zusammenfassend hat das Risikopotenzial gegenüber Russland nicht allgemein zugenommen, da die einzelnen Indikatoren gemischte Ergebnisse zeigen. Langfristig ist Russlands Rolle stabil oder sogar rückläufig (z.B. bei Geldtransfers). Dieser Trend scheint nur vorübergehend unterbrochen zu sein. Trotzdem bleiben mit Blick auf das Risikopotenzial einige Entwicklungen zu beobachten. Im Hinblick auf den Tourismus betrifft dies vor allem die Direktflüge zwischen Georgien und Russland, die im Mai 2023 nach einem vierjährigen russischen Verbot wieder aufgenommen wurden. Bislang sind die Auswirkungen aufgrund der begrenzten Anzahl von Flügen und der relativ kleinen Flugzeuge noch begrenzt. Darüber hinaus bleibt das Risikopotenzial bei den Exporten von Agro-Food-Produkten hoch. Bisher erleichtern die gut etablierten Geschäftsbeziehungen und der höhere regionale Bekanntheitsgrad den Export nach Russland. Einige Beobachter sind jedoch besorgt, dass dies zu Lasten der Qualität gehen könnte, beispielsweise im Weinsektor. Eine Diversifizierung der Exportmärkte, auch in Richtung EU, wo durch die Erfüllung höherer Qualitätsanforderungen höhere Preise erzielt werden können, ist daher auf kurze Sicht schwierig, bleibt aber ein wichtiges Ziel.
Dieser Newsletter basiert auf der Policy Study „Georgia’s economic exposure to Russia: recent developments“. Die Analyse für Armenien ist hier verfügbar.
Bilder: ©JEGAS RA-stock.adobe.com