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Rouven Stubbe

Strompreisliberalisierung für große Unternehmen: Hintergrund, Auswirkungen und politische Perspektiven

Die Liberalisierung der Strompreise für große und mittelständische Unternehmen in Kosovo ist für den 1. Juni 2025 angesetzt. Dies ist ein notwendiger Schritt zur Erfüllung der Verpflichtungen des Landes aus dem Vertrag der Energiegemeinschaft bezüglich der Schaffung eines vollständig liberalisierten Strommarkts. Die erweiterte Preisliberalisierung bringt jedoch auch erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen mit sich, insbesondere für energieintensive Sektoren. Die erste Phase der Preisliberalisierung übte bereits spürbaren Kostendruck auf die Eisen- und Stahlindustrie aus. Nun wird die nächste Liberalisierungswelle über 1200 Unternehmen betreffen – Schätzungen zufolge etwa 10% des gesamten Stromverbrauchs.

  • Kosovo
NL 23 | Mai-Juni 2025
Energie und Klima

Erwartete Strompreise von etwa 120 EUR/MWh entsprechen einem Anstieg von rund 70% gegenüber den derzeit geltenden regulierten Tarifen. Nach einer anfänglichen Phase der Marktanpassung dürfte die durchschnittliche Belastung auf sektoraler Ebene insgesamt im Rahmen bleiben, wobei die Lebensmittelverarbeitung zu den am stärksten betroffenen Sektoren zählen wird. Zur Abfederung der Auswirkungen werden gezielte Fördermaßnahmen für erneuerbare Energien sowie ein wettbewerbsfähiger Strommarkt empfohlen.

Eine lang verzögerte Reform geht in die nächste Phase

Kosovo verpflichtete sich 2016 im Rahmen der Übernahme des dritten EU-Energiepakets zur Liberalisierung seines Strommarkts. Nach ersten Schritten im Jahr 2017, bei denen drei kosovarische Unternehmen auf Hochspannungsebene in den offenen Markt eintraten, verzögerte sich jedoch die vollständige Preisliberalisierung. Die nächste Phase liberalisiert ab Juni 2025 die Stromtarife für Unternehmen mit über 10 Mio. EUR Jahresumsatz oder mehr als 50 Beschäftigten.

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Ohne Zugang zu den regulierten Tarifen müssen diese Unternehmen Strom auf dem freien Markt beschaffen. Dies wird Kosovo näher an die EU-Vorschriften bringen, die staatliche Eingriffe in die Strompreisgestaltung verbieten. Die Erfahrung des Metallurgie-Unternehmens Ferronikeli, das von 2021 bis 2023 wegen hoher Strompreise fast zwei Jahre lang schließen musste, zeigt jedoch, dass Preisrisiken ohne Schutzmaßnahmen die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen ernsthaft gefährden können.

Wirtschaftliche Auswirkungen: Ungleiche Sektorrisiken

Unternehmen im liberalisierten Markt zahlen Strompreise über dem Tarif des Grundversorgers (GV). Nach einer anfänglichen Phase der Marktanpassung wird der durchschnittliche Preis am offenen Markt auf ca. 120 EUR/MWh geschätzt – rund 70% über dem aktuellen regulierten Tarif. Der offene Strommarkt in Kosovo ist jedoch noch unterentwickelt, da der Großteil der lizenzierten Anbieter derzeit nicht aktiv ist, was zu Unsicherheit und Preisschwankungen führt. Um die mögliche Belastung der verschiedenen Wirtschaftssektoren zu beurteilen, werden die zusätzlichen Stromkosten pro Sektor auf Basis des mittelfristigen Marktpreises – die absolute Belastung –, sowie der Anteil der zusätzlichen Stromkosten an der sektoralen Bruttowertschöpfung (BWS) – die relative Belastung – geschätzt.

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Die absolute Belastung wird am stärksten die Lebensmittelindustrie treffen, gefolgt von den Dienstleistungen sowie der Forst- und Landwirtschaft. Die Lebensmittelindustrie ist unter den neu liberalisierten Sektoren auch in relativen Zahlen am stärksten betroffen, mit einem Stromkostenanstieg von bis zu 3,8% der BWS. Für die meisten anderen Sektoren liegt die Kostenbelastung unter 1–2% der Bruttowertschöpfung. Der Eisen- und Stahlsektor bleibt ein Sonderfall. Im Vergleich zu einem Szenario mit regulierten Preisen entsprechen die zusätzlichen Stromkosten bei Marktpreisen über 40% der BWS. Bereits 2017 liberalisiert, zeigt der vorübergehende Betriebsstopp von Ferronikeli von 2021 bis 2023, wie volatile Marktpreise die Geschäftskontinuität energieintensiver Betriebe gefährden können.

Regulierte Tarife steigen ebenfalls an

Parallel zur Marktliberalisierung genehmigte die Energie-Regulierungsbehörde (ERO) eine Tarifsteigerung von 16,1%. Als Hauptgründe werden gestiegene Großhandelskosten für die Energiebeschaffung, höhere netzbezogene Umlagen und eine gestiegene Nachfrage genannt. Auch wenn der Preis im europäischen Vergleich weiterhin niedrig bleibt, stellt er den bislang höchsten regulierten Strompreis in Kosovo dar. Haushalts- und nicht liberalisierte Geschäftskunden werden diese Preissteigerung ab Juni spüren. Zu beachten ist, dass die vier nördlichen Gemeinden (Leposaviq, Zubin Potok, Zveçan und Nord-Mitrovica) von der Entscheidung ausgenommen sind. Fast 25 Jahre lang haben die Bewohner dieser Gemeinden keinen Strom bezahlt. Eine Rechnungsstellung begann hier im Februar 2024, doch die Zahlungsraten liegen weiterhin unter 20%. Diese Gebiete bleiben von der Preiserhöhung unberührt, da der örtliche Versorger Elektrosever im Gegensatz zum GV KESCO, der den Rest des Landes beliefert, keine Preiserhöhung vornahm.

Importabhängigkeit und Risiken

Der Winter 2024/2025 verdeutlichte Kosovos anhaltende Abhängigkeit von Stromimporten zur Ausbalancierung der volatilen heimischen Erzeugung. Im Dezember 2024 deckten Importe fast die Hälfte des Endenergieverbrauchs. Dies liegt hauptsächlich an Kosovos veralteten Braunkohlekraftwerken, die etwa 90% der jährlichen heimischen Stromproduktion ausmachen, jedoch wenig flexibel sind und häufig ungeplante Ausfälle verzeichnen. Hohe Preise an den regionalen Börsen und begrenzte grenzüberschreitende Übertragungskapazitäten belasteten das nationale Stromsystem erheblich. Diese Schwierigkeiten wurden im vergangenen Winter durch die geringe einheimische Erzeugung aus erneuerbaren Energien noch verschärft, was die Aufmerksamkeit auf die dringende Notwendigkeit von Investitionen in lokale Erzeugungs- und Speicherkapazitäten sowie die regionale Marktintegration lenkt. Die Verringerung der Importabhängigkeit gilt seit Langem als zentrale Priorität zur Verbesserung der Energiesicherheit und Preisstabilität in Kosovo.

Während die bevorstehende Liberalisierungswelle höhere Strompreise für Unternehmen bedeutet, könnte sie den Preisdruck für das staatliche Erzeugungsunternehmen KEK schrittweise verringern. KEK ist verpflichtet, im Rahmen des Bulk Supply Agreements (BSA) Strom zu niedrigen Preisen an den GV für regulierte Kunden zu liefern. Mit dem schrittweisen Wechsel regulierter Verbraucher in den freien Markt kann KEK mehr Gewinn erzielen und so zusätzlichen finanziellen Spielraum für notwendige Umrüstungen und Investitionen in erneuerbare Erzeugungskapazitäten schaffen.

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Gezielte politische Maßnahmen sind erforderlich

Um den Übergang für Unternehmen in den offenen Markt zu erleichtern, verfügt Kosovo über mehrere Unterstützungsmechanismen. Prosumers – also Unternehmen und Haushalte, die ihren eigenen Strom produzieren – können von Net-Billing-Modellen und Installationszuschüssen profitieren. Zusätzlich hat die Regierung ein weiteres Unterstützungsprogramm angekündigt, das lokale Produzenten bei der Senkung der Energiekosten und der Verbesserung der Energieeffizienz unterstützen soll. Weitere politische Maßnahmen sollten die Unterstützung wettbewerbsfähiger Strommärkte durch fortgesetzte Ausschreibungen für erneuerbare Energien sowie die Förderung der Marktkopplung mit weiteren Nachbarländern umfassen. Mittelfristig könnte die schrittweise Abschaffung von Mechanismen wie dem BSA dazu beitragen, die Liquidität und den Wettbewerb an der albanischen Strombörse (ALPEX) zu steigern. Schließlich sollte die Reform des Unterstützungsprogramms für besonders schutzbedürftige Verbraucher als Vorbereitung auf eine breitere Liberalisierung, die auch kleinere Unternehmen und Haushalte einschließt, ebenfalls Priorität haben.

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