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Sebastian Staske

Starkes Wachstum trotz Krieg in der Ukraine

Trotz des Gegenwinds durch den Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland blieb die georgische Wirtschaft robust und wuchs im ersten Halbjahr 2022 um 10,5%. Die Nationalbank schätzt das Wachstum für das gesamte Jahr auf 9,0%. Ein weiteres Jahr mit zweistelligem Wachstum scheint möglich.

  • Georgien
NL 47 | Juli - August 2022
Makroökonomische Analysen und Prognosen

Der Lari wertete infolge starker Kapitalzuflüsse auf 2,80 GEL/USD auf und lag damit 7,7% höher als zu Beginn des Krieges. Die Inflation bleibt aufgrund steigender Lebensmittel- und Energiepreise hoch und erreichte im Juli 11,5% zum Vorjahr. Die Nationalbank hat ihren Leitzins im März auf 11,0% angehoben.

Die Erholung im Tourismus setzte sich fort, die Einnahmen erreichten in 7M2022 87% des Niveaus von 2019. Nach anfänglichen Problemen blieben die Warenexporte nach Russland robust (7M2022: 1%).

Ein entscheidender Faktor für Georgiens Wirtschaft in diesem Jahr (und darüber hinaus) ist der Zustrom von ca. 45.000 Menschen aus Russland und Belarus. Die zusätzlichen Konsumausgaben von geschätzt 1,8% des BIP sind ein positiver Schock für die Gesamtnachfrage.

Wachstumsaussichten besser als vor Kriegsausbruch

Nach einem sehr starken Wachstum in 2021 (10,4%) lagen die Schätzungen für 2022 vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine bei rund 5%. Zunächst waren Beobachter nach Kriegsbeginn aufgrund des hohen wirtschaftlichen Risikopotentials gegenüber Russland pessimistisch für die Wachstumsaussichten.

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Das Wachstum hat sich jedoch als widerstandsfähig erwiesen und erreichte in 6M2022 10,5% gegenüber dem Vorjahr. Die Nationalbank schätzt das Wachstum für das Gesamtjahr auf 9,0%, während große georgische Banken bereits ein weiteres Jahr mit zweistelligem Wachstum für möglich halten. Mit diesem starken Wachstum ist Georgien auch der Spitzenreiter in der regionalen Vergleichsgruppe.

Aufwertung des Lari, aber weiterhin hohe Inflation

Im Vorfeld des Krieges in der Ukraine und zunächst auch danach wertete der Lari stark ab und erreichte im März einen Tiefstand von 3,40 GEL/USD. Der derzeitige Kurs von etwa 2,80 GEL/USD ist jedoch 7,7% höher als zu Beginn des Krieges. Die Aufwertung des Lari ist auf die anhaltende Erholung der Tourismuseinnahmen, die gestiegenen Exporteinnahmen und die zunehmenden Rücküberweisungen zurückzuführen. Der Zustrom von Menschen aus Russland und Belarus nach Georgien hat ebenfalls zur Aufwertung beigetragen.

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Der Angebotsschock bei den internationalen Rohstoffpreisen, der 2021 einsetzte, hat sich vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine fortgesetzt. Der anhaltende Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise (jeweils 33,1% bzw. 5,2% des Warenkorbs) führte zu einer weiterhin hohen Inflation, die im Juli 11,5% gegenüber dem Vorjahr erreichte. Um einem Anstieg der Inflationserwartungen vorzubeugen, hob die Nationalbank im März den Leitzins auf 11,0% (+0,5 Pp.) an.

Zustrom von Russen treibt Geldtransfers an

Ein entscheidender Faktor für die Wirtschaft in diesem Jahr ist der Zustrom von Menschen aus Russland und Belarus nach Georgien. Insgesamt sind seit Beginn des Krieges bis Ende Mai ca. 45.000 Menschen gekommen. Neben den Auswirkungen auf den Konsum sind die Effekte auch bei den Geldtransfers sichtbar. Ursprünglich hatte man nach Kriegsbeginn erwartet, dass die Überweisungen aus Russland aufgrund der dortigen Wirtschaftskrise zurückgehen würden. Stattdessen kam es in 7M2022 zu einem deutlichen Anstieg um 278% zum Vorjahr. Im Vergleich dazu stiegen die Überweisungen aus anderen Regionen nur um 16,5%. Aktuell lässt sich der hohe Wert für Russland am besten durch den Zustrom von Russen und den Verkauf von russischen Vermögenswerten erklären. Es handelt sich also nicht um Rücküberweisungen im üblichen Sinne und, was noch wichtiger ist, nicht um einen Anstieg des Einkommens georgischer Haushalte. Die rückläufigen Zahlen für Juni und Juli deuten darauf hin, dass der Anstieg der russischen Überweisungen vorübergehend ist.

Erholung im Tourismus setzt sich fort

Die 2021 begonnene Erholung im Tourismussektor hat sich in 7M2022 fortgesetzt, wobei die Einnahmen 87% des Niveaus von 2019 erreichten. Der Urlaubstourismus aus Russland wird aufgrund der dortigen Wirtschaftskrise wahrscheinlich gedämpft bleiben. Ein Teil dieses Verlustes wird jedoch durch den bereits erwähnten Zustrom von Russen ausgeglichen werden, sodass in 7M2022 insgesamt 66% des Niveaus von 2019 erreicht wurden. Wichtige Hauptherkunftsregionen wie die EU (66%) und die Türkei (62%) haben noch Aufholpotenzial, während Länder mit zunehmender Bedeutung wie Israel (118%) und Saudi-Arabien (154%) bereits über dem Niveau vor der Corona-Pandemie liegen. Die Aussichten für den Sektor sind positiv und es wird erwartet, dass das Niveau von 2019 in diesem Jahr erreicht oder sogar übertroffen wird.

Warenexporte nach Russland bleiben robust

Da 2021 rund 18% der georgischen Warenexporte (exkl. Re-Exporte) auf Russland entfielen, war die Unsicherheit zu Beginn des Krieges groß. Tatsächlich gingen anfangs sowohl die Preise als auch die Mengen für die meisten Produkte zurück. So wurden beispielsweise die Mineralwasserexporte durch die vorübergehende Aussetzung der Borjomi-Produktion (aufgrund der Mehrheitsbeteiligung der sanktionierten russischen Alfa-Gruppe) beeinträchtigt. Die Probleme wurden inzwischen gelöst, indem der Staat Miteigentümer wurde.

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Nach anfänglichen Problemen nahm die Handelsdynamik jedoch wieder zu. Insgesamt blieben die Exporte in 7M2022 stabil (+1% yoy). Das starke Wachstum im Januar und Februar ist nicht die einzige Erklärung dafür. Höhere Exportpreise, insb. für Georgiens Hauptprodukt Ferrosiliciummangan, glichen die meisten Verluste aus. Außerdem sind die Volumina wichtiger Produkte wie Wein und Spirituosen in den letzten Monaten wieder gestiegen. Während die Rezession in Russland wahrscheinlich die georgischen Exporte nach Russland einschränken wird, hat eine kürzlich durchgeführte (Ex-ante-)Analyse des German Economic Team hervorgehoben, dass Georgien gut positioniert sein könnte, um ein Ersatzlieferant für westliche Produkte zu werden.

Ausblick

Trotz des starken Risikopotenzials gegenüber Russland hat sich die georgische Wirtschaft als robust gegenüber den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine erwiesen. Mit 9,0% liegen die Wachstumsaussichten für 2022 nun weit über den Schätzungen vor Kriegsbeginn. Die Erholung im Tourismus wurde nicht beeinträchtigt und dürfte sich fortsetzen. Die kürzliche Einigung mit dem IWF über ein Stand-By Arrangement (280 Mio. USD) verankert den soliden makroökonomischen Rahmen. Ein wichtiger Punkt für Georgien in diesem Jahr (und darüber hinaus) ist der Zustrom von ca. 45.000 Menschen aus Russland und Belarus. Nach einer Schätzung des German Economic Team werden ihre Ausgaben im Jahr 2022 voraussichtlich 330 Mio. USD (1,8% des BIP) erreichen. Dies ist ein positiver Schock für die Gesamtnachfrage. Er erklärt teilweise, warum Georgiens Wirtschaft nur mäßig vom Krieg betroffen ist. Dieser Zustrom hat zwar auch Verteilungseffekte (z. B. steigende Mietpreise), doch könnte der Zustrom von zumeist hochqualifizierten Menschen (viele mit einem Hintergrund in der IKT-Branche) eine Chance für weiteres Wirtschaftswachstum darstellen.

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