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Yiğit Tahmisoğlu

Stahlsektor weiterhin vor großen Herausforderungen

Der Stahlsektor der Ukraine, einst eine tragende Säule der Wirtschaft mit etwa 6% des BIP 2021, steht vor großen Herausforderungen. Während die Ukraine 2021 noch der 14.-größte Stahlproduzent weltweit war, hat der anhaltende Krieg den Sektor stark beeinträchtigt. Wichtige Produktionsanlagen wurden zerstört oder besetzt, Angriffe auf die Energieinfrastruktur führten zu Stromausfällen, Blockaden der Häfen schränkten die Logistik ein.

  • Ukraine
NL 197 | März - April 2025
Entwicklung des Privatsektors

Eine der jüngsten Entwicklungen war die Schließung der Kokskohlemine Pokrowsk. Dies könnte zu einem Rückgang der Stahlproduktion um 40% im Vergleich zu 2024 führen. Neben den kriegsbedingten Faktoren stellen US-Zölle auf Stahlprodukte einen zusätzlichen externen Schock dar. Da der Stahlsektor eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Erholung und den Wiederaufbau spielt, müssen Wege gefunden werden, um die Produktionslücken zu schließen.

Anhaltende Herausforderungen auf der Angebotsseite

Russlands großangelegte Invasion stellt einen unmittelbaren Schock für den ukrainischen Stahlsektor dar: Laut einer Studie von Low Carbon Ukraine (2024) wurden 38% der Produktionskapazitäten zerstört. Trotz dieser Rückschläge ist der Sektor weiterhin funktionsfähig. Im Jahr 2024 erreichte die Jahresproduktion von Rohstahl 7,6 Mio. Tonnen. Dies ist zwar ein Rückgang um 65% gegenüber dem Vorkriegsniveau, aber ein Anstieg um 22% gegenüber 2023.

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Diese Entwicklung könnte auf eine gewisse Erholung hindeuten, jedoch sank der Anteil am BIP 2023 auf 2%.

Vor dem Krieg lag die Kapazitätsauslastung bei 75%, 2024 sank dieser Wert auf rund 42%. Hauptursachen waren die Zerstörung und Besetzung des Azovstal-Werks sowie des Ilyich-Werks, die zusammen 38% der gesamten installierten Produktionskapazität ausmachten. Weitere angebotsseitige Herausforderungen sind Sicherheitsrisiken, logistische Störungen, Arbeitskräftemangel infolge von Mobilisierung und Migration sowie zeitweise Stromausfälle durch Angriffe auf die Energieinfrastruktur.

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Störungen in der Kokskohleversorgung aus Pokrowsk

Die ukrainische Stahlindustrie war historisch stark von inländischer Kohle zur Koksherstellung abhängig, die hauptsächlich vom Bergbaukomplex Pokrowsk in der Oblast Donezk geliefert wurde. Dieser deckte etwa 90% des Bedarfs ab. Die Schließung zwingt die Stahlhersteller nun dazu, auf teurere Importe auszuweichen, was die Produktionskosten deutlich erhöht. Im Vergleich zur gesamten Stahlproduktion 2024 schätzen wir, dass der Verlust der Kokskohle aus Pokrowsk die Produktion um rund 40% senken könnte. Sollte das Bergwerk Pokrowsk nicht wiedereröffnet werden, wäre eine langfristige Abhängigkeit von importierter Kokskohle nicht tragfähig.

Inländische Nachfrage

Bis Ende 2024 belief sich der inländische Stahlverbrauch auf 3,3 Mio. Tonnen, was einem Rückgang von 35% im Vergleich zu 2021 entspricht. Davon entfielen 36% (1,2 Mio. Tonnen) auf Importe. Im Vergleich zu 2023 sank die Nachfrage um 5%. Der Anstieg der Produktion von 2023 auf 2024 spiegelte sich nicht in einem höheren inländischen Verbrauch wider. Einer der Gründe war die Priorisierung von Exportmärkten: Der Anteil der Exporte an der Gesamtproduktion stieg im Jahr 2024 auf 67%, nach 38% im Jahr 2023. Zudem führten Verzögerungen bei Bauprojekten infolge fehlender Finanzierung, Arbeitskräftemangel und kriegsbedingter Risiken zu einem Rückgang des inländischen Verbrauchs.

Erholung bei den Exporten

Die Exporte von Eisen- und Stahlprodukten erreichten 2024 3,8 Mrd. USD. Auch wenn dies einem Rückgang von 73% gegenüber 2021 entspricht, verzeichneten die Exporte im Vergleich zu 2023 einen Anstieg um 24%. Unterstützt wurde dieser Anstieg durch eine höhere Produktion von einem geringen Ausgangsniveau sowie durch die Wiedereröffnung des ukrainischen Meereskorridors. Gleichzeitig sank der Anteil an den Gesamtexporten von 7% 2021 auf 3% im Jahr 2024. Der Anteil der EU an den Gesamtexporten von Eisen- und Stahlprodukten stieg im Vergleich zu 2021 um 25 Prozentpunkte und erreichte 63% (2,3 Mrd. USD).

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Im August 2023 stellte die Ukraine den Zugang zum Schwarzen Meer für den Metallexport teilweise wieder her und ermöglichte den Vorrang des Schiffsverkehrs gegenüber dem Schienentransport. Infolgedessen stiegen die Exporte über Häfen im ersten Halbjahr 2024 um das Achtfache an und übertrafen seit Dezember 2023 den Schienentransport.

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Gleichzeitig verzeichneten Exporte auf dem Straßen- und Schienenweg leichte Rückgänge von 3% bzw. 6% zum Vorjahr. Diese Verschiebung spielte eine zentrale Rolle bei der Exportdynamik.

US-Zölle stellen neue Herausforderungen dar

Im Februar 2025 führte die US-Regierung einen Zollsatz von 25% auf Stahlimporte wieder ein, was zusätzliche Risiken für die Ukraine mit sich bringt. Im Jahr 2024 beliefen sich die Exporte von Eisen- und Stahlprodukten in die USA auf insgesamt 0,5 Mrd. USD, was 13% der gesamten ukrainischen Eisen- und Stahlexporte entsprach. Roheisen, das von dem Zoll ausgenommen ist, machte 73% dieser Exporte aus. Die am stärksten betroffene Produktgruppe sind jedoch Rohre, die 23% der US-Exporte (113 Mio. USD) ausmachten. Darüber hinaus werden die Zölle auch ukrainische Hersteller über Importe von in der EU weiterverarbeiteten Produkten betreffen, die ukrainischen Stahl enthalten. Laut Verband der ukrainischen Metallproduzenten Ukrmetallurgprom könnte dies beispielsweise zu einem geschätzten Verlust von 58 Mio. USD für Metinvest bei Exporten in die USA aus ihren bulgarischen Werken führen, die auf ukrainischen Stahl angewiesen sind.

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Ausblick

Die ukrainische Stahlindustrie steht weiterhin vor erheblichen strukturellen und operativen Herausforderungen. Sollte die Kokskohlemine Pokrowsk dauerhaft geschlossen bleiben, werden Hersteller Produktionsschwierigkeiten haben, und eine nicht tragfähige Abhängigkeit von kostspieligen Importen würde sich negativ auf die Profitabilität auswirken. Zudem ist davon auszugehen, dass Produktionsengpässe weit über das Ende des Krieges hinaus bestehen bleiben. Die Wiedereinführung des US-Zolls auf Stahlimporte erhöht den Druck auf den Sektor zusätzlich. Darüber hinaus wird der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) die Profitabilität weiter belasten, da die ukrainischen Stahlwerke derzeit einen hohen Emissionsausstoß aufweisen. Die im Rahmen des „Ukraine Plans“ innerhalb der Ukraine-Fazilität der EU festgelegte Priorität für eine grüne Metallurgie zielt darauf ab, den Sektor zu modernisieren und an EU-Standards anzupassen. Der Übergang wird jedoch herausfordernd sein und den Zugang zu erheblichen Finanzierungsmitteln erfordern. Sobald der Fokus auf den großflächigen Wiederaufbau gelegt werden kann, wird ein starker Anstieg der inländischen Stahlnachfrage erwartet – etwa für den Wiederaufbau von Gebäuden, Brücken, Eisenbahnen und Industrieanlagen sowie für die heimische Rüstungsindustrie. Auch wenn sich durch steigende Verteidigungsausgaben in der EU neue Exportchancen ergeben könnten, besteht das Risiko, dass die Ukraine sich – aufgrund anhaltender Produktionsprobleme und der erwarteten Zunahme des Inlandsverbrauchs – von einem Nettoexporteur zu einem Nettoimporteur von Stahl entwickelt.

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