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Garry Poluschkin, Robert Kirchner

Stabilität des Bankensektors während des Krieges: Reicht das aus?

Nach mehr als 18 Monaten Krieg beweist der ukrainische Bankensektor nach wie vor eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit und fungiert dabei als Rückgrat der Realwirtschaft. Es kam zu keinen Bank-Runs und der Zugang zu Bargeld war selbst während der Stromausfälle im letzten Winter gewährleistet. Die Eigenkapitalquote (CAR) ist angemessen hoch und auch die Liquiditätsdeckung übertrifft die vorgeschriebenen Anforderungen deutlich. Neben wichtigen Reformen seit 2014 sind umfassende Maßnahmen der Nationalbank (NBU) und ein hohes Maß an Digitalisierung die Hauptgründe für die Stabilität.

  • Ukraine
NL 179 | September 2023
Finanzmärkte

Ein großes Liquiditätspolster ist jedoch nicht nur ein Zeichen der Widerstandsfähigkeit. Es zeigt auch eine zögerliche Kreditvergabe. Das Kreditportfolio ging im Vergleich zum Vorkriegsniveau real um etwa 30% zurück. Da jedoch die Kreditvergabe an den Privatsektor das Fundament für Investitionen ist, sind weitere Reformen und Maßnahmen erforderlich, um den Sektor auf seine wichtige Rolle innerhalb des wirtschaftlichen Wiederaufbaus der Ukraine vorzubereiten.

Hilfreicher Beitrag vergangener Reformen

Der ukrainische Bankensektor hatte 2022 ein relativ geringes Verhältnis von Aktiva zum BIP von 40%. Dieser Anteil ist vergleichbar mit Rumänien, aber viel geringer als in Polen oder Ungarn. Außerdem charakterisiert den Sektor eine moderate Konzentration der Top-5-Banken – ähnlich wie in den vorher genannten Ländern – aber einem hohen staatlichen Anteil von 50% der Nettoaktiva, der auch 2021 ähnlich hoch war. Diese Entwicklungen sind das Ergebnis verschiedener Reformen seit 2014. Die NBU hat das Assoziierungsabkommen mit der EU im Hinblick auf die Regulierung des Finanzsektors schrittweise umgesetzt, umfassende Prüfungen der Aktivaqualität und Stresstests durchgeführt sowie die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen erhöht. Viele Banken wurden liquidiert oder verstaatlicht, wenn diese Anforderungen nicht erfüllt wurden. Infolgedessen halbierte sich die Anzahl der Banken zwischen 2015 und 2022, während das Eigenkapital signifikant auf 21% der risikogewichteten Aktiva im November 2021 stieg. Somit war der Sektor auf die Folgen des Krieges gut vorbereitet.

Stabile Einlagen offenbaren Vertrauen in den Sektor

Russlands Krieg hatte massive Folgen für die Entwicklung der Ukraine. Dennoch kam es zu keinen Bank-Runs. Das Wachstum der Einlagen, das nominal positiv war, ist sein Februar 2023 auch real im positiven Bereich. Diese Entwicklung ist einerseits ein deutliches Zeichen für den Rückgang des privaten Konsums. Andererseits ist die gestiegene Nachfrage nach Einlagen, die teilweise aus Soldatenbesoldung bestehen, ein bemerkenswertes Zeichen für das Vertrauens in den Sektor.

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Der Anteil notleidender Kredite (NPL) an den Gesamtkrediten war vor dem Krieg rückläufig, steigt aber seit Kriegsbeginn stetig an, auch wenn er noch nicht das Niveau vom Januar 2021 erreicht hat. Diese Beobachtung ist dabei zum Teil im Kontext der Lockerung der NPL-Regulierung zwischen Februar und Juni 2022 und den aufgeschobenen Maßnahmen der Banken zum Abbau der NPL zu sehen. Daher wird die Wiederaufnahme von Prüfungen der Kreditqualität von entscheidender Bedeutung sein, um verborgene Risiken aufzudecken. Darüber hinaus hat sich die Eigenkapitalquote erholt und im März 2023 das Niveau vom November 2021 wieder erreicht, was auf eine verbesserte Profitabilität zurückzuführen ist. Ein weiteres Zeichen für die Widerstandsfähigkeit.

Krisenmanagement und Digitalisierung

Das umsichtige Krisenmanagement der NBU war die entscheidende Stütze für die Stabilität des Sektors. Ihre Maßnahmen waren zu Beginn des Krieges von entscheidender Bedeutung als das Stressniveau höher war als zu Beginn des Krieges 2014 oder während der Pandemie.

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  • Notmaßnahmen: Zu Beginn führte die NBU verschiedene Maßnahmen ein, um den Zugang zu Liquidität zu gewährleisten, insbesondere durch Vergabe ungesicherter Refinanzierungskredite. Auch verschob sie Regulierungsanpassungen und Prüfungen der Resilienz. Außerdem wurden strenge Kapitalverkehrskontrollen eingeführt, der Wechselkurs fixiert und Zinsentscheidungen ausgesetzt.
  • Anpassungen: Nach einigen Monaten passte die NBU den Wechselkurs an und erhöhte den Leitzins. Gleichzeitig wurden Maßnahmen ergriffen, um den Zugang zu Bargeld aufrechtzuerhalten als Russlands Angriffe zu Stromausfällen führten.
  • Erholung: Seit Anfang 2023 stellt die NBU die Finanzierung des Haushaltes ein, während Banken Anreize erhielten, sich stärker an den Käufen staatlicher Anleihen zu beteiligen. Außerdem liberalisiert die NBU seither Kapitalverkehrskontrollen schrittweise und leitete aufgrund der sinkenden Inflation eine Lockerung der Geldpolitik ein. Die Mindestreserveanforderungen wurden erhöht und ein Ablaufplan für die Prüfungen der Resilienz bekannt gegeben.

Ein weiterer Grund für das weitestgehend reibungslose Funktionieren des Sektors ist die digitale Transformation, die während der Pandemie beschleunigt wurde. Kontaktlose Karten- und NFC-Zahlungen stiegen zwischen 2019 und 2022 um das Vierfache. Außerdem ist der Zugang zu Apple Pay in 75% aller Geschäftsbanken verfügbar (Jun-23) – mehr als in Polen oder Ungarn.

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Internationale Erfahrungen zeigen, dass die digitale Transformation die Kommunikation und den Zugang zu digitalen Dienstleistungen der Banken fördert. Dies ist während des Krieges besonders wichtig, da Millionen Ukrainer im Inland und ins Ausland geflüchtet sind. Die Aufrechterhaltung dieser Dienstleistungen ist somit eine wichtige Stütze für das andauernde Vertrauen in den Sektor, der dabei die Wirtschaft am Laufen hält.

Die zukünftige Rolle des Sektors im Wiederaufbau

Die NBU hat kürzlich ihre Strategie zur Entwicklung des Finanzsektors veröffentlicht, um den Sektor auf seine Rolle für die zukünftige makroökonomische und finanzielle Stabilität sowie die Erholung der Gesamtwirtschaft vorzubereiten. Verbesserungen im Corporate Governance, Anpassungen der Regulierung an EU-Standards sowie umfassende Prüfungen der Widerstandsfähigkeit werden von entscheidender Bedeutung sein. Weltweit spielen Banken in der Regel eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Investitionen zur Entwicklung der Wirtschaft. Dies ist in der Ukraine bisher nicht der Fall. Die Kreditvergabe ist real ähnlich zurückgegangen wie das BIP und der Rückgang wäre ohne staatliche Subventionen noch stärker ausgefallen (ca. 1/3 der Unternehmenskredite in UAH werden staatlich subventioniert).

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Denn Banken verlangen Risikoprämien und ziehen risikoarme Anlagen wie Staatsanleihen der Kreditvergabe vor. Infolgedessen ist die Liquiditätsdeckungsquote stark angestiegen und übertrifft die Norm um 330%.

Ausblick

Insgesamt ist ein stabiler Bankensektor eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau zu spielen. Weitere Maßnahmen und internationale Unterstützung sind erforderlich, um die Kreditkosten zu senken und die Kreditvergabe anzukurbeln. So kann beispielsweise die Ausweitung öffentlicher Garantiesysteme für private Investitionen als ein Instrument in Betracht gezogen werden, um die Bereitschaft von Banken bei der Finanzierung von privaten Investitionen zu steigern. Konkrete Schritte in dieser Hinsicht wären ein Meilenstein in der Beteiligung des Sektors am Wiederaufbau.

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Dieser Newsletter basiert auf dem Monitor des Bankensektors, der in Kooperation mit dem Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung sowie dem Centre for Economic Strategy erstellt wurde.