Staat und Wirtschaft in Belarus: Ein schwieriges Verhältnis
Der politische Konflikt zwischen den belarussischen Behörden und den Privatunternehmen resultiert aus einem Mangel an Loyalität im privaten Sektor, insbesondere da viele Geschäftsleute die demokratischen Bewegungen während der Proteste im Jahr 2020 unterstützten. Im Gegensatz zu staatseigenen Unternehmen (SOEs), die dank staatlicher Unterstützung vor wirtschaftlichen Schocks geschützt sind, sind private Unternehmen anfälliger für Sanktionen, Krieg und politische Instabilität.
Dennoch ist die Regierung auf den privaten Sektor angewiesen, um wirtschaftliches Wachstum zu fördern, da staatseigene Unternehmen dies allein nicht erreichen können. Viele belarussische Unternehmen haben aufgrund dieses Drucks das Land verlassen, aber das Entstehen einer Geschäftsdiaspora könnte langfristig von Vorteil sein. Diese Diaspora könnte eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung zukünftiger belarussischer Unternehmen im Falle demokratischer Reformen spielen.
Behörden vs. Privatwirtschaft
Die Beziehung zwischen dem Staat – insbesondere Präsident Alexander Lukaschenko – und dem Unternehmenssektor in Belarus war noch nie unkompliziert. Seit Beginn der politischen Krise im Jahr 2020, gefolgt von mehreren Sanktionsrunden aufgrund der Beteiligung von Belarus an Russlands Invasion in der Ukraine, hat sich das Geschäftsumfeld noch weiter verschärft und unsicherer entwickelt.
Eine zentrale Spannungsquelle in der aktuellen Dynamik zwischen Staat und Wirtschaft ergibt sich aus den Ereignissen von 2020, als nach der manipulierten Präsidentschaftswahl in Belarus landesweite Proteste ausbrachen. Viele prominente Unternehmer sowie ihre Mitarbeiter – die im Vergleich zu den Beschäftigten in staatseigenen Unternehmen (SOEs) weniger vom Staat abhängig sind – spielten eine aktive Rolle bei diesen Protesten. Das Regime von Alexander Lukaschenko betrachtete dies als Verrat.
Ein weiterer Grund für das Misstrauen des Staates gegenüber dem privaten Sektor ist die Vorsicht der Geschäftswelt in einem Umfeld, das funktionierende Marktinstitutionen wie Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsrechte und stabile Wirtschaftspolitik vermissen lässt. Private Unternehmen neigen dazu, in Unsicherheit zu verharren und zögern angesichts der allgegenwärtigen Risiken zu investieren oder ihre Betriebe zu erweitern. Ein belarussischer Unternehmer mag sich folgende Frage stellen: „Wenn meine Fabrik morgen beschlagnahmt werden kann, warum sollte ich heute mit der Produktion beginnen?“ Diese Unsicherheit wird durch die ständige Bedrohung willkürlicher rechtlicher Maßnahmen verstärkt, bei denen Einzelpersonen oder ihre Familien ohne Vorwarnung inhaftiert werden können. Infolgedessen geben viele ihre Unternehmen auf und suchen nach Möglichkeiten in der Europäischen Union, insbesondere in Polen, aber auch in Litauen, Zypern und anderen Ländern.
Reaktion staatlicher und privater Unternehmen auf Schocks
Im Gegensatz dazu läuft der Betrieb in staatseigenen Unternehmen (SOEs) weiter – nicht, weil diese immun gegen wirtschaftliche Belastungen oder Sanktionen wären, über herausragende Geschäftsmöglichkeiten oder unternehmerische Versionen verfügten, sondern schlicht, weil der Staat es anordnet. Diese Unternehmen werden oft von staatlich ernannten Direktoren geführt, die mit schweren Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie den Anweisungen staatlicher Stellen nicht folgen. Die Angst, ihre Position zu verlieren oder sogar inhaftiert zu werden, treibt die Manager der SOEs dazu, den Betrieb aufrechtzuerhalten, unabhängig von den wirtschaftlichen Realitäten oder der Rentabilität. Diese „erzwungene“ Widerstandsfähigkeit der SOEs steht im krassen Gegensatz zur Stagnation im Privatsektor.
Der Privatsektor in Belarus ist jedoch noch nicht zum Aussterben verurteilt. Eines der Hauptziele des Staates ist es zu zeigen, dass die Wirtschaft trotz des Krieges und der Sanktionen die Herausforderungen bewältigt und weiterhin gegen alle Widrigkeiten wächst. Dabei stützt sich das Land zunehmend auf den privaten Sektor. Ohne notwendige Marktanreize wird der staatlich gelenkte Teil der Wirtschaft zwar bestehen bleiben, ein dynamischer Wachstumstreiber wird aus ihm jedoch nicht werden.
Im Gegensatz dazu ermöglichen marktorientierte Anreize dem Privatsektor, wirtschaftliches Wachstum zu generieren.
Während des letzten „verlorenen Jahrzehnts“, in dem das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum von Belarus kaum über 1% lag, trug der Privatsektor, mehr als die Hälfte zum Wachstum bei. Die Bedeutung des Privatsektors wuchs sowohl als Anteil des BIP als auch der Beschäftigung und der Exporte.
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Die Regierung möchte sich nicht mit einer sich schwach entwickelnden Wirtschaft zufriedengeben und hat sich zum Ziel gesetzt, das BIP in den nächsten 15 Jahren zu verdoppeln. Vor diesem Hintergrund wurde die Entscheidung getroffen, dem Privatsektor das Überleben zu ermöglichen – wenn auch unter strengen Kontrollen und einem Status, der dem einer Melkkuh entspricht.
Verlagerung belarussischer Unternehmen nach 2020
Die wesentliche Scheidelinie innerhalb der belarussischen Wirtschaft hat sich entlang von Märkten und Kunden herausgebildet, die jedes Unternehmen bedient. Belarus, eine kleine und offene Volkswirtschaft, war lange Zeit dadurch gekennzeichnet, dass der Großteil seiner Unternehmer sich zunächst auf ausländische Kunden (d.h. Exporte) konzentrierte und ein Teil internationaler Wertschöpfungsketten war. Beispielsweise wurden Möbelhersteller unterteilt in diejenigen Unternehmen, die große Mengen an minderwertigen, preisgünstigen Möbeln für den russischen Markt lieferten, und diejenigen, die hochwertige Möbel mit hohem Mehrwert für europäische Märkte produzierten.
Abgesehen von den persönlichen Bedrohungen, denen Geschäftsinhaber ausgesetzt waren, folgten die Unternehmen nach den verhängten Sanktionen effektiv ihren Kunden. Unternehmen, die sich bereits auf Russland ausgerichtet hatten, blieben in Belarus, und einige weiteten ihre Geschäfte dort sogar aus. Unternehmen, die es sich nicht leisten konnte, europäische Kunden zu verlieren, sahen sich gezwungen, ihre Produktion zu verlagern, um einer willkürlichen Justiz zu entkommen. Diese Teilung fand manchmal innerhalb desselben Unternehmens statt. Zum Beispiel spaltete sich der bekannte Videospielentwickler Wargaming buchstäblich in zwei Unternehmen auf – eines blieb, um den russischen und belarussischen Markt zu bedienen, während das andere sich nach Westen verlagerte.
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Verlagerung belarussischer Unternehmen seit 2022
Nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine fanden sich Unternehmen, die beschlossen, in Belarus zu bleiben, in einer unerwarteten vorteilhaften Lage wieder: Während westliche Unternehmen den russischen Markt verließen, öffneten sich ganze Marktnischen. Allerdings kompensiert die Erschließung dieser neuen Marktanteile mittelfristig nicht die Tatsache, dass die russische Wirtschaft, ähnlich wie die belarussische, im letzten Jahrzehnt stagnierte. Da Russland von westlicher Technologie und Kapital abgeschnitten ist, wird diese Stagnation voraussichtlich anhalten. Unternehmen, die sich zur Verlagerung entschieden, erlebten zwar schwere finanzielle und administrative Schocks, fanden sich letztendlich jedoch in Märkten mit besseren Wachstumsaussichten und stabileren Geschäftsbedingungen wieder.
Diese tektonischen Verschiebungen in der belarussischen Unternehmenslandschaft werden langanhaltende Folgen haben. Einerseits werden Unternehmen, die Belarus verlassen haben, insbesondere ausländische Unternehmen, wahrscheinlich vorsichtig bleiben, selbst wenn es positive politische Veränderungen im Land gibt. Der Abgang großer Unternehmen, wie der kürzliche Verkauf der belarussischen Tochtergesellschaft Priorbank durch die Raiffeisen Bank oder der Rückzug von Carl Zeiss, signalisiert nicht nur einen Kapitalabfluss, sondern vor allem den Verlust von Fachwissen, Know-how und westlichen Standards. Dies wird sich negativ auf die verkauften Unternehmen und deren Wettbewerber auswirken.
Andererseits bietet die Existenz einer kohäsiven Unternehmensdiaspora im Ausland – selbst wenn diese Unternehmen nie zurückkehren – eine einzigartige Chance für die belarussische Wirtschaft im Falle einer künftigen Demokratisierung. Die Anwesenheit umfassender und stabiler internationaler Verbindungen wird es neuen belarussischen Unternehmern erleichtern, Zugang zu westlichen Märkten zu erhalten und sich in den globalen Handel und Wertschöpfungsketten zu integrieren.
Dr. Lev Lvovskiy ist Academic Director bei BEROC
Hinweis: Für diesen Text ist nur der Autor verantwortlich. Er gibt nicht notwendigerweise die Meinung des German Economic Teams wieder.