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Garry Poluschkin, Robert Kirchner

Sieben Monate Kriegswirtschaft: Alle Augen auf den Haushalt

Die vom Krieg arg gebeutelte ukrainische Wirtschaft scheint im Sommer 2022 ihren Tiefpunkt erreicht zu haben, für das gesamte Jahr prognostizieren wir einen Rückgang des realen BIP von 32%. Im nächsten Jahr könnte die Wirtschaft nach offizieller Prognose um 4,6% wachsen, doch die Unsicherheit bleibt groß, da der Krieg weiter andauert. Die Fiskallage ist dabei entscheidend für die Kriegswirtschaft. Während die Einnahmen aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage zurückgingen, stiegen die Ausgaben.

  • Ukraine
NL 167 | September 2022
Makroökonomische Analysen und Prognosen

Die Militärausgaben liegen bei 40% der Gesamtausgaben, während der Wert in Friedenszeiten unter 10% lag. Diese Entwicklung führte zu einem massiven Finanzierungsbedarf, die Ukraine hat jedoch keinen Zugang zum internationalen Kapitalmarkt, mit dem traditionell ein wesentlicher Teil des Defizits finanziert wurde. Wenn die direkte monetäre Finanzierung durch die Nationalbank (NBU) eingeschränkt werden soll, muss diese Unterstützung durch die internationalen Partner kommen. Diese haben bisher 35 Mrd. USD zugesagt und knapp die Hälfte ausgezahlt, aber mehrheitlich in Form von Darlehen, nicht Zuschüssen, was in Zukunft weitere Herausforderungen mit sich bringen wird.

Russlands Krieg verursacht wirtschaftliches Leid

Russlands anhaltende Invasion der Ukraine kostete tausende von Menschenleben, zwang 6 Mio. Menschen zur Flucht ins Ausland und weitere 6 Mio. sind als Binnenflüchtlinge registriert – ein großer Schock für den privaten Verbrauch und das Arbeitskräfteangebot. Die Zerstörung der Infrastruktur in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr und Wohngebäude wird mit über 120 Mrd. USD beziffert, was sich auf den Kapitalstock und die Arbeitskräftenachfrage negativ auswirkt.

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Insgesamt führte das Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt zu einer Arbeitslosenquote von 35% im 2Q2022.

Russlands Blockade der ukrainischen Seehäfen hat nach sieben Monaten zu einem Rückgang der Exporte um 28% im Vergleich zum Vorjahr geführt. Die Importe sind hingegen nur um 16% gesunken: Weniger stark aufgrund von Steuer- und Abgabesenkungen und eines günstigen Wechselkurses. Infolgedessen sank das BIP im zweiten Quartal um 37% zum Vorjahr, nach einem geringeren Rückgang von 15% im ersten Quartal. Für das gesamte Jahr 2022 prognostizieren wir einen BIP-Rückgang von 32%. Die Unsicherheit bleibt jedoch auch nächstes Jahr sehr groß. Die Prognoseannahmen hängen vor allem von der künftigen Intensität und Dauer des Krieges ab. Das ukrainische Wirtschaftsministerium prognostiziert ein reales Wachstum von 4,6% gegenüber dem Vorjahr als Basisszenario, betont aber die große Unsicherheit.

Für die Kriegswirtschaft ist Fiskalpolitik entscheidend

Mit Beginn des Krieges war die Ukraine gezwungen, ihre Militärausgaben massiv zu erhöhen. Sie machten im Juli 2022 40% (!) der öffentlichen Ausgaben aus, verglichen mit 7% ein Jahr zuvor. Gleichzeitig gingen die öffentlichen Einnahmen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um 1% gegenüber dem Vorjahr zurück. Diese Entwicklung führt zu einem hohen Haushaltsdefizit, das für das gesamte Jahr bei voraussichtlich 25,6% des BIP liegen wird. Hierin sind Finanzhilfen in Form von Zuschüssen nicht berücksichtigt.

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Militärausgaben auf diesem Niveau und gleichzeitig notwendige soziale und wirtschaftliche Unterstützung aufrechtzuerhalten, ist für die weitere Dauer des Krieges von entscheidender Bedeutung. In den ersten sieben Monaten wurde die Defizitfinanzierung sowohl durch die NBU mit Käufen von Staatsanleihen (monetäre Finanzierung) in Höhe von mehr als 9,3 Mrd. USD als auch durch internationale Finanzhilfen gewährleistet, da die Ukraine keinen Zugang zu internationalen Kapitalmärkten hat. Diese Politik ist jedoch nicht nachhaltig, denn sie erhöht den Druck auf Inflation und Wechselkurs und untergräbt dabei die makrofinanzielle Stabilität. Aus diesem Grund strebt die Ukraine 2023 eine Verringerung der Haushaltslücke auf etwa 2,5 Mrd. USD monatlich und eine geringere Abhängigkeit von inländischer Kreditaufnahme an.

Die monetäre Finanzierung und die Unterbrechung der Lieferketten haben die Inflation zwischen März und Juni auf ca. 3% monatlich ansteigen lassen, sie stabilisierte sich jedoch und erreichte im August 23,8% gegenüber dem Vorjahr. Dennoch wird für das Jahresende eine Inflation von über 30% und für 2023 knapp über 20% erwartet. Da die Inflation nicht mehr als nominaler Anker für die Wirtschaft angesehen werden kann und Marktmechanismen unterbrochen sind, hat die NBU einen festen Wechselkurs eingeführt und sich von der Ausrichtung auf ein Inflationsziel vorerst verabschiedet. Um den Kurs aufrechtzuerhalten, wurden strenge Kapitalkontrollen ein- und umfangreiche Deviseninterventionen durchgeführt. Der ständige Druck auf den Wechselkurs zwang die NBU im Juli zu einer Abwertung auf 36,57 UAH/USD.

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Dieser Schritt wirkte sich positiv auf die Exportaussichten aus und verteuerte gleichzeitig die Importe. Dennoch führen ein hohes Handelsdefizit, Bargeldabhebungen von Ukrainern im Ausland und verspätete Finanzhilfen weiterhin zu einem hohen Zahlungsbilanzdefizit. Der Wechselkurs nähert sich auf dem „Cash Market“ 41,3 UAH/USD, was eine weitere Anpassung in den kommenden Monaten erforderlich machen könnte.

Mehr und schnellere Finanzhilfe sind essenziell

Sowohl die Fiskallage als auch die externe Position zeigen die wesentliche Bedeutung der internationalen Finanzhilfen. Falls die Finanzhilfen nicht zügig ausgezahlt werden, ist die Ukraine gezwungen ihre monatlichen Ausgaben entsprechend anzupassen, so wie im Juli. Partnerländer und -organisationen haben Unterstützung in Höhe von 35 Mrd. USD zugesagt, aber bisher nur 54% ausgezahlt. Zuschüsse sind gegenüber Darlehen zu bevorzugen, da sie nicht zur Schuldenquote beitragen, welche die Ukraine in ihrem Haushaltsentwurf für 2023 bei 100% des BIP als erwartete Plangröße angibt.

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Dabei wurde bereits mit internationalen Investoren und Mitgliedern des Paris Club vereinbart, Schuldenzahlungen auf 2024 zu verschieben. Diese Vereinbarung deckt jedoch mit 6 Mrd. USD nur etwas mehr als einen Monat des monatlichen Finanzbedarfs 2022 ab und löst mittelfristig nicht die Probleme der Schuldentragfähigkeit.

Ausblick

Die positive Nachricht ist, dass die Wirtschaft den massiven Kriegsschock überstanden hat. Der starke Rückgang des BIP scheint im Laufe des Jahres 2022 seinen Boden zu finden und die Haushaltsplanung sieht für das kommende Jahr ein leichtes Wachstum vor. Diese Schätzungen und Prognosen sind jedoch mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet, da der Krieg weiter wütet und kein Ende in Sicht ist. Um die Ukraine wirtschaftlich und finanziell über Wasser zu halten, sollte sich die internationale Unterstützung derzeit auf den massiven Finanzbedarf konzentrieren und diesen entsprechend angehen, da es keine besseren Alternativen zu einer solchen Unterstützung gibt. In Zukunft könnte die Verwendung eingefrorener russischer staatlicher Reserven ein weiteres Element zur Unterstützung der Ukraine bei der Deckung ihres Finanzbedarfs und dem Wiederaufbau des Landes sein. Hierfür sind jedoch erhebliche internationale Anstrengungen erforderlich, die wahrscheinlich viel Zeit in Anspruch nehmen werden.

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Dieser Newsletter basiert auf dem Wirtschaftsausblick Ukraine.