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Nataliia Shapoval, Vira Ivanchuk

Koordinierung der Reformauflagen

Die ukrainische Wirtschaft steht seit Beginn des Angriffskrieges Russlands vor erheblichen Herausforderungen. Die Wirtschaftstätigkeit ging zurück, was die Steuereinnahmen beschränkte, während die Staatsausgaben stiegen. Infolgedessen stieg das Haushaltsdefizit dramatisch an. Zwischen 2024 und 2027 droht der Ukraine eine kumulierte Haushaltslücke von mindestens 80 Mrd. USD. Finanzhilfen sind daher zur Schließung dieser Lücke notwendig.

  • Ukraine
NL 190 | August 2024
Governance und öffentliche Verwaltung

Die Partnerinstitutionen und -länder der Ukraine haben sich diesem Ziel verpflichtet, aber ihre Unterstützung ist an Reformauflagen geknüpft. Diese unterscheiden sich jedoch teilweise von Partner zu Partner. Um sie unter ein Dach zu bringen, hat die ukrainische Regierung in Zusammenarbeit mit der Weltbank, der Kyiv School of Economics (KSE) und dem Centre for Economic Strategy (CES) eine Reformmatrix entwickelt. Dieses Instrument systematisiert die Reformauflagen, analysiert und überwacht ihre Fortschritte und bietet somit den nationalen und internationalen Akteuren einen transparenten Überblick. Alles in allem wird die Umsetzung der Reformmatrix die Ukraine auf dem Reform- und Integrationspfad in die EU voranbringen.

Hintergrund

Die ukrainische Wirtschaft ist aufgrund der kriegsbedingten Herausforderungen zurückgegangen. Seit Beginn des Krieges 2022 ist das BIP um etwa 20% gesunken und auch die Verfügbarkeit von Kapital und Arbeitskräften ist zurückgegangen. Durch die Vertreibung von etwa 25% der Bevölkerung und die Einberufung zum Militär ist die Zahl der Arbeitskräfte gesunken. Auch der Kapitalstock ist betroffen. Etwa 40% der Schäden betreffen Wohngebäude. Außerdem sind Industrie-, Energie- und Transportkapazitäten zerstört, beschädigt oder besetzt. Der Export leidet unter der Blockade und dem Verlust wichtiger Ressourcen. Die weltweiten Ölpreise steigen und die Erdgaspreise bleiben hoch. Die Inflation stieg im Juli leicht auf 5,4%, was auf höhere Geschäftskosten, die Abwertung der Hryvnia und die Erhöhung der Stromtarife zurückzuführen ist. Eine erhebliche Stromknappheit im Juni dämpfte die Stimmung der Unternehmen und Verbraucher, doch der Agrarsektor verzeichnete weiterhin ein starkes Wachstum. Die Erholung am Arbeitsmarkt verlangsamte sich, die Zahl der offenen Stellen ging zurück und die Beschäftigung sank. Das Leistungsbilanzdefizit weitete sich aus, da zum Handelsdefizit höhere Dienstleistungsimporte und Dividendenabflüsse hinzukamen. Auch wenn der Frieden die Sicherheit wiederherstellen und diese Beschränkungen lockern würde, wird der Wiederaufbau des Arbeitskräfteangebots und der Infrastruktur umfangreiche internationale Hilfe erfordern. Angesichts dieses schwierigen wirtschaftlichen Umfelds decken die Steuereinnahmen nicht die Ausgaben. Da die Ukraine keinen Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten hat, ist sie auf internationale Finanzhilfe angewiesen, um die vom IWF für 2024 bis 2027 prognostizierte kumulierte Haushaltslücke von etwa 80 Mrd. USD zu schließen. Das Finanzministerium erwartet sogar einen höheren Finanzierungsbedarf.

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Finanzhilfen sind an Reformauflagen geknüpft

Um im EU-Beitrittsprozess voranzukommen und finanzielle Unterstützung von den Partnerländern zu erhalten, ist die Ukraine eine Reihe von Reformverpflichtungen eingegangen, die in den folgenden vier Strukturdokumenten festgelegt sind:

  1. Empfehlungen der EU-Kommission für den Kandidatenstatus der Ukraine
  2. Erweiterte Fondsfazilität des IWFs
  3. Ukraine Plan im Rahmen der Ukraine Fazilität
  4. Entwicklungspolitik der Weltbank (Development Policy Loan; DPL).

Jedes dieser Dokumente enthält bestimmte Auflagen und Empfehlungen, die Teil der großen Strukturreformen in der Ukraine sind. Alle Auflagen und Empfehlungen sind in drei große Gruppen unterteilt:

  • Grundlegende Bedingungen (Reform der öffentlichen Verwaltung, Finanzverwaltung, Justizsystem, Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche)
  • Wirtschaftsreformen (Finanzmärkte, öffentliche Vermögensverwaltung, Humankapital, Geschäftsumfeld, Dezentralisierung und Regionalpolitik)
  • Schlüsselsektoren (Energie, Transport / Exportlogistik, Agrar- und Ernährungswirtschaft, kritische Rohstoffe, Unternehmertum / KMU-Entwicklung / verarbeitende Industrie, Informationstechnologien, grüne Transformation / Umweltschutz)

Zur effizienten Entscheidungsfindung und Steuerung des Reformprozesses hat die ukrainische Regierung in Zusammenarbeit mit der Weltbank, der KSE und CES ein analytisches Instrument – die Reformmatrix – entwickelt.   Sie verfolgt die folgenden vier Ziele:

  • Systematisierung der effektiven Umsetzung der Auflagen und Empfehlungen, die der Ukraine von der EU, dem IWF, der Internationalen Investitionsbank und anderen Institutionen im Rahmen der unterzeichneten Reformabkommen auferlegt wurden, um der EU beizutreten und Finanzhilfen von internationalen Partnern zu erhalten
  • Analyse der notwendigen Veränderungen und Planung der Reformumsetzung
  • Durchführung eines kontinuierlichen Monitorings
  • Rechenschaft und Transparenz gegenüber nationalen und internationalen Partnern, einschließlich der Multi-Donor Coordination Platform (MDCP).

Die Reformmatrix umfasst verschiedene Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen und Auflagen. Die Empfehlungen umfassen eine Liste von Schritten, die von internationalen Partnern vorgeschlagen wurden, um den europäischen Integrationsprozess der Ukraine zu beschleunigen und die Synchronisierung in Schlüsselbereichen zu verbessern. Die Reformmatrix besteht aus den vier oben genannten Strukturdokumenten, die in sechs Cluster unterteilt sind, die den Clustern des EU-Beitrittsprozesses entsprechen.

Quantifizierung, Chancen und Herausforderungen

Die Fortschritte werden nach einem 5-Punkte-System bewertet. Auflagen werden mit 5 bewertet, wenn sie vollständig erfüllt und von den internationalen Partnern bestätigt wurden und mit 0/1, wenn sie noch nicht erfüllt sind und sich in der Anfangsphase ihrer Implementierung befinden. Innerhalb dieses Systems und in Übereinstimmung mit internationaler Praxis wird die Farbe Grün verwendet, um Auflagen und Empfehlungen zu kennzeichnen, die erfüllt wurden, Gelb für Auflagen, die noch im Prozess sind, und Rot für solche, die sich in der Anfangsphase befinden. Die Reformmatrix ist ein leistungsfähiges Instrument zur Überwachung und Verfolgung der Wirksamkeit der Reformumsetzung, das den Weg des Landes zur EU-Mitgliedschaft und zum Erhalt der Finanzhilfen beschleunigen wird. Darüber hinaus ermöglicht dieser Rahmen die Einordnung von Wirtschaftssektoren in verschiedene Reformfortschritts- und Entwicklungsstadien. Dies ermöglicht es Sektoren zu identifizieren, die besondere Förderung und Unterstützung brauchen, um für einen EU-Beitritt bereit zu sein.

Es gibt jedoch noch weitere Herausforderungen, darunter das Fehlen einer vollständigen Liste von notwendigen Reformen und die teilweise kurzen Fristen für die Erfüllung von Reformen sowie mangelnder politischer Wille in der Ukraine bei bestimmten Reformvorhaben.

Ausblick

Die weitere Entwicklung der Reformmatrix sieht ihre Erweiterung um neue Auflagen, Empfehlungen und eine kontinuierliche Aktualisierung vor. Dazu gehört die Entwicklung eines Indikatorensystems zur Priorisierung von Reformen, die die Integration der ukrainischen Wirtschaft in die EU beschleunigen, sowie eines Punktesystems zur Bewertung der Umsetzung und Wirksamkeit der Reformmatrix. Darüber hinaus wird die Einrichtung eines Growth Lab an der KSE in Zusammenarbeit mit dem Harvard Growth Lab die analytischen Fähigkeiten im Zusammenhang mit den Reformvorhaben erheblich verbessern, was zu einer allgemeinen Verbesserung sowohl der Reformmatrix als auch des Reformprozesses selbst führen wird.

All diese Schritte werden den Reformprozess beschleunigen und die Ukraine der europäischen Integration näherbringen.

Nataliia Shapoval ist Leiterin des KSE Instituts, Vize-Leiterin des Bereiches Politikforschung an der Kyiv School of Economics.

Vira Ivanchuk ist Senior Analystin an der Kyiv School of Economics

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