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Jente Mork und Sebastian Staske

Investitionen und Reformen bleiben für den Stromsektor wichtig

Georgiens Stromsektor steht weiterhin vor Herausforderungen, da die Nachfrage die inländische Erzeugungskapazität übersteigt. Wasserkraft spielt eine zentrale Rolle, doch ihre saisonale Verfügbarkeit führt in den Wintermonaten zu einer Abhängigkeit von Wärmekraftwerken sowie Stromimporten. Perspektivisch möchte Georgien sein saisonales Exportpotential stärker nutzen und Nettoexporteur werden.

  • Georgien
NL 62 | Januar-Februar 2025
Energie und Klima

Verschiedene Maßnahmen, wie Auktionen für erneuerbare Energien, der Ausbau der Übertragungskapazitäten und die Einrichtung eines Strommarktes, sollen diese Herausforderungen angehen und Georgiens Stromsektor im Zuge seiner Mitgliedschaft in der Energiegemeinschaft stärker an die EU-Energiegesetzgebung anpassen. Um die ehrgeizigen Ausbauziele zu erreichen, sind jedoch erhebliche Infrastrukturinvestitionen, Fortschritte bei der Projektdurchführung und ein dauerhaftes Engagement mit internationalen Partnern erforderlich.

Nachfragewachstum und Saisonalität

Wirtschaftliches Wachstum und vergleichsweise niedrige Strompreise haben zu einem erheblichen Anstieg der Stromnachfrage geführt. Seit 2010 sind die Spitzenlast und der jährliche Verbrauch um 47% bzw. 55% gestiegen, was den Anstieg bei der inländischen Erzeugung (+43%) übertroffen hat. Infolgedessen war Georgien von 2012 bis 2024 (mit Ausnahme der Jahre 2016 und 2023) ein Nettoimporteur von Strom.

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Wasserkraft macht 74% der insgesamt installierten Leistung von rund 4.600 MW aus. Der größte Teil davon (59%) entfällt auf Speicherkraftwerke, welche für die notwendige Flexibilität des Systems sorgen. Durch die saisonalen Schwankungen der Wasserkraft hat Georgien im Sommer ein Exportpotenzial. Wärmekraftwerke, die 26% der installierten Kapazität stellen und vollständig auf importiertes Erdgas angewiesen sind, sind für die Deckung der Nachfrage im Winter unerlässlich. Da ihre Kapazität jedoch nicht ausreicht, um die Wasserkraft vollständig zu ersetzen, braucht Georgien im Winter zusätzlich Stromimporte.

Ambitionierte Pläne für den Stromerzeugungsausbau

Neben der Deckung der eigenen Nachfrage strebt Georgien auch an, sein saisonales Exportpotential im Sommer besser zu nutzen und perspektivisch Nettoexporteur von Strom zu werden. Die Pläne hierzu hat der Übertragungsnetzbetreiber Georgian State Electrosystem (GSE) im Zehnjahres-Netzentwicklungsplan (Ten-Year Network Development Plan, TYNDP) darlegt. Bis 2034 soll die Erzeugung auf 36 TWh gesteigert werden, mehr als doppelt so hoch wie aktuell und nahezu doppelt so hoch wie die Nachfrageprognosen von 19 TWh. Im Mittelpunkt dieser Pläne steht der Ausbau der Wasserkraftkapazität auf 7.222 MW bis 2034, getragen von Großprojekten wie Khudoni (702 MW), Namakhvani (433 MW) und Nenskra (280 MW). Allerdings stellen Proteste auf lokaler Ebene und offene finanzielle Fragen Risiken für die Umsetzung dieser Schlüsselprojekte dar.

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Die Erfahrung zeigt, dass die geplanten Ausbauziele im TYNDP häufig nicht in der vorgesehenen Zeit realisiert wurden. Dies liegt zum Teil daran, dass der TYNDP auf laufenden Verträgen basiert und unter der Annahme einer termingerechten Fertigstellung erstellt wird, auch wenn solche Zeitpläne unrealistisch sein mögen.

Auktionen zum Ausbau der erneuerbaren Energien

Ein wichtiger Schritt zum Ausbau der erneuerbaren Energien waren zwei Auktionen in 2023 und 2024. Hierbei wurden Verträge mit einer Gesamtkapazität von 1.100 MW vergeben. Die Auktionsgewinner werden mit der Regierung und dem Strommarktbetreiber ESCO Differenzverträge (CfD) abschließen. Der Zeitplan für die Umsetzung ist jedoch ungewiss, da keines der Projekte aus beiden Ausschreibungen bislang in die Umsetzungsphase eingetreten ist. Eine dritte Auktion, die ursprünglich geplant war, wurde durch direkte Verträge ersetzt, um das Verfahren zu vereinfachen. Bei diesen werden die Tarife der zweiten Ausschreibung zugrunde gelegt.

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Ausbau der Verbindungen mit den Nachbarländern

Für den Handel sind auch die Übertragungskapazitäten mit den Nachbarländern entscheidend. Mit insgesamt 3.420 MW ist Georgien bereits gut vernetzt. Derzeit ist die Türkei der wichtigste Exportmarkt, da die dortigen hohen Strompreise im Sommer den Export besonders attraktiv machen. Um den geplanten Erzeugungsausbau zu ergänzen und das saisonale Exportpotenzial voll auszuschöpfen, soll die Übertragungskapazität bis 2034 auf 5.350 MW erhöht werden. Die fristgemäße Durchführung dieser Ausbauprojekte steht jedoch vor Herausforderungen. So sind einige zentrale Infrastrukturvorhaben, wie die Konverterstation (notwendig für die Kopplung der asynchronen Stromsysteme Georgiens und Armeniens), bereits seit mehreren Jahren in Planung.

Wirtschaftlichkeit des Unterseekabels unsicher

Zusätzlich zu den Leitungen mit den Nachbarländern soll das geplante Unterseekabel im Schwarzen Meer mit einer Kapazität von 1.300 MW Georgien mit Rumänien verbinden. Das Projekt befindet sich in der Vorbereitungsphase, wobei die Realisierung und der Zeitplan von ausstehenden finanziellen, rechtlichen und technischen Entscheidungen abhängen. Die Kosten werden auf rund 3,5 Mrd. USD geschätzt. In einer früheren Studie des German Economic Team wurde auf die unsichere Wirtschaftlichkeit hingewiesen, insbesondere wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht wie geplant erfolgt. Eine Machbarkeitsstudie, die von GSE und der Weltbank in Auftrag gegeben und von CESI im Sommer 2024 abgeschlossen wurde, bestätigt die technische Machbarkeit, stellt jedoch fest, dass die finanzielle Rentabilität von strengen Finanzierungsannahmen abhängt.

Marktöffnung auf freiwilliger Basis

Institutionell wäre die Einführung eines vollständig geöffneten Strommarkts ein wichtiger Schritt für den Energiesektor. Georgien ist als Mitglied der Energiegemeinschaft verpflichtet, diesen Markt zu öffnen. Ein wettbewerbsorientiertes Marktmodell könnte langfristig Effizienzsteigerungen, mehr Preistransparenz und stärkere Anreize für den Ausbau erneuerbarer Energien bieten. Nach drei Jahren Verzögerung wurde am 1. Juli 2024 ein erster Schritt mit der Einführung eines freiwilligen Strommarkts gemacht. In der ersten Phase umfasst dieser den Day-Ahead-Handel für Erzeuger und große Verbraucher, allerdings mit Ausnahme von Speicher- und großen Wasserkraftwerken. Die Handelsaktivität blieb in den ersten Monaten jedoch gering: das gehandelte Volumen lag bei weniger als 1% der täglichen Erzeugung. Dies zeigt, dass sowohl Anbieter als auch Verbraucher noch zögerlich agieren. Das traditionelle bilaterale Vertragsmodell bietet derzeit mehr Preissicherheit und erfordert weniger exakte Prognosen, da Anpassungen während des Monats möglich sind. Im Gegensatz dazu bringt der Strommarkt bei Abweichungen Strafzahlungen mit sich. Für einen vollständigen Übergang zu einem offenen Markt ist eine verpflichtende Teilnahme erforderlich, die derzeit für Sommer 2025 vorgesehen ist.

Ausblick

Georgiens Stromsektor befindet sich im Umbruch. Der Ausbau der Erzeugungs- und Übertragungskapazitäten bietet die Chance, das Land als regionalen Stromakteur zu etablieren. Ein wichtiger Faktor bleiben die internationalen Partnerschaften, wie die mit Deutschland über die KfW. Solche Kooperationen haben in der Vergangenheit zur Entwicklung des Sektors beigetragen. Sie erfordern jedoch ein stabiles und vorhersehbares Umfeld, was angesichts der Komplexität des aktuellen politischen Kontextes besonders wichtig ist. Die Verwirklichung der ehrgeizigen Pläne zum Ausbau der Erzeugungs- und Übertragungskapazitäten, zur Nutzung des Exportpotenzials und zur Schaffung eines vollständig liberalisierten Marktes erfordert daher nicht nur umfangreiche Infrastrukturinvestitionen und Fortschritte bei der Projektdurchführung, sondern auch ein dauerhaftes Engagement mit internationalen Partnern.

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Dieser Newsletter basiert auf unserem Energy Sector Monitor 2024. Unsere frühere Analyse über das Unterseekabel im Schwarzen Meer finden Sie hier.