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Sebastian Staske

Handel seit dem Ukraine-Krieg: Veränderungen wohl temporär

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die Handelsdynamik in Georgien erheblich verändert. Die Reexporte von Autos haben stark zugenommen, vor allem nach Kirgisistan, Kasachstan und Armenien, von wo aus der größte Teil später nach Russland reexportiert wird. Die Reexporte von Autos machen inzwischen 35% der gesamten Exporte aus, wobei die Zukunft des Sektors ungewiss bleibt.

  • Georgien
NL 59 | Juli - August 2024
Außenhandel und regionale Integration

Die Warenexporte nach Russland haben sich mengenmäßig nur wenig verändert, aber das Land ist nach wie vor ein wichtiger Markt für einige Waren, insbesondere im Agro-Food-Sektor. Gleichzeitig sind die Importe von Erdölerzeugnissen aus Russland aufgrund des Abschlags auf Urals-Öl stark angestiegen, wobei Georgien bei Bedarf flexibel auf andere Lieferanten zurückgreifen kann. Diese Trends spiegeln zwar Verschiebungen in der georgischen Handelsstruktur wider, aber viele davon könnten sich als vorübergehend erweisen.

Deutliche Verschiebungen in der Handelsdynamik

Der Krieg in der Ukraine hatte erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und wirkte sich auf die Handelsstrukturen in zahlreichen Regionen aus. Als Transitknotenpunkt und Brücke zwischen Osteuropa und Zentralasien wird die georgische Wirtschaft in hohem Maße von globalen wirtschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen im Handelsverkehr, insbesondere mit Russland, beeinflusst und hat daher infolge des Krieges deutliche Verschiebungen in der Handelsstruktur erfahren.

Starker Anstieg der Reexporte von Kraftfahrzeugen

Schon vor dem Krieg in der Ukraine spielte der Reexport von Autos eine wichtige Rolle in der Wirtschaft, da Georgien aufgrund seiner günstigen geografischen Lage und seiner relativ liberalen Handelspolitik zu einem Drehkreuz für den Reexport von Autos in der Region geworden ist. Gebrauchte (und oft beschädigte) Autos werden hauptsächlich aus den USA und in geringerem Maße aus Europa importiert und dann repariert. Viele dieser Autos werden dann reexportiert. Das Geschäft ist im Laufe der Jahre gewachsen, wobei der Anteil der Autos an den Gesamtexporten zwischen 2015 und 2021 durchschnittlich 12% betragen hat. Die hohe Bedeutung der Reexporte von Kraftfahrzeugen für die aktuelle Entwicklung des Handels lässt sich folgendermaßen veranschaulichen: Die Gesamtexporte (inkl. Kraftfahrzeuge) stiegen zwischen 2021 und 2023 um 43%, während die Exporte ohne Kraftfahrzeuge nur um 5% zunahmen.

Bei der Analyse der Entwicklungen seit dem Krieg in der Ukraine stechen zwei Punkte hervor: 1) der Anstieg des Werts der Pkw-Reexporte und 2) Verschiebungen in der regionalen Struktur dieser Exporte. Während die Reexporte von Autos 2021 einen Wert von 457 Mio. USD erreichten, stiegen sie bis 2023 stark auf 2,1 Mrd. USD an. Lag ihr Anteil an den gesamten Exporten im Jahr 2021 bei 11%, so betrug er im Jahr 2023 35%.

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Russland spielte als (direkter) Zielmarkt für Reexporte von Kraftfahrzeugen vor Kriegsbeginn nur eine relativ geringe Rolle und dies hat sich nicht wesentlich geändert (obwohl der Exportwert 2022 und Anfang 2023 anstieg). Ein wichtiger Faktor waren weitere Sanktionspakete der USA und der EU (11. Paket) im Sommer 2023, die den Export der meisten Fahrzeugtypen nach Russland einschränkten. Georgien schloss sich den westlichen Sanktionen zwar nicht an, hat sich aber verpflichtet, die Umgehung der Sanktionen zu verhindern. Infolgedessen wurden die Exporte nach Russland fast vollständig eingestellt. Die Sanktionen gelten nicht für Exporte in andere Länder. Die Reexporte nach Kirgisistan, Kasachstan und Armenien, ehemals relativ kleine Exportziele, sind deutlich gestiegen, da diese Länder zu Drehscheiben für weitere Reexporte nach Russland geworden sind. Ihre Bedeutung lässt sich anhand der Entwicklung des Anteils an den gesamten Kfz-Reexporten veranschaulichen: von 10% im Jahr 2021 machten sie 71% im Jahr 2023 und 82% in 6M2024 aus.

Warenexporte nach Russland stabil, kaum Änderungen

Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine haben die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland weitere Aufmerksamkeit erhalten. Russland ist nach wie vor ein wichtiger Absatzmarkt, insbesondere im Agro-Food-Sektor. Die Warenexporte nach Russland nahmen zwischen 2021 und 2023 um 8% zu, ein bescheidener Anstieg im Vergleich zu einem Anstieg von 49% in andere Zielländer. Der Anteil an den Gesamtexporten sank auf 11% (2021: 14%). Allerdings haben Autos, wie oben dargestellt, derzeit eine deutlich höhere Bedeutung für die Exportstatistik. Ohne Autos blieben die Exporte nach Russland zwischen 2021 und 2023 nahezu unverändert, während sie mit anderen Ländern um etwa 6% stiegen.

Ausgewählte Warenexporte nach Russland 2023 vs. 2021

Besonders sichtbar ist der starke Rückgang der Exporte von Ferrosiliciummangan, der jedoch vor allem auf einen weltweiten Preisverfall zurückzuführen ist. Im Agro-Food-Sektor war Russland schon immer ein wichtiger Markt. Waren wie Wein (66% der Exporte nach Russland im Jahr 2023), Spirituosen (43%) und Wasser (51%) werden hauptsächlich dorthin exportiert. Insgesamt haben sich jedoch weder die Struktur noch das Volumen der Warenexporte nach Russland wesentlich verändert.

Erdölerzeugnisse: Entwicklungen sind preisgetrieben

Im Hinblick auf die Warenimporte aus Russland ist vor allem die Entwicklung bei Erdölerzeugnissen (vor allem Treibstoff) hervorzuheben. Vor dem Krieg waren diese gut diversifiziert, wobei Russland rund 18% der Gesamtimporte ausmachte.

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Auf den internationalen Märkten wird das russische Urals-Öl seit Beginn des Krieges mit einem Abschlag gegenüber anderen Sorten gehandelt. Infolgedessen stieg der russische Anteil im Jahr 2022 (durchschnittlich 49%) und Anfang 2023 stark an (bis zu 76% im Feb-23). Zwischen Sep-23 und Nov-23 verhängte Russland jedoch ein vorübergehendes Exportverbot für Ölprodukte, was zu einem Rückgang führte. In 6M2024 lag der Anteil bei rund 46%. Insgesamt sind die erhöhten Importe von Erdölerzeugnissen eine vorübergehende Reaktion auf die Preisentwicklung. Wie die Reaktion nach dem Exportverbot zeigt, kann Georgien relativ leicht Ölprodukte aus anderen Ländern beziehen, so dass das wirtschaftliche Risiko begrenzt ist.

Ausblick

Der Krieg in der Ukraine hatte erhebliche Auswirkungen auf die Handelsstrukturen weltweit und Georgien ist keine Ausnahme von dieser Entwicklung. Die sichtbarste Veränderung ist wohl die Zunahme der Reexporte von Kraftfahrzeugen und die daraus resultierende Veränderung der regionalen Struktur der Exporte. Diese regionale Verschiebung hat auch dazu geführt, dass Kirgisistan, Kasachstan und Armenien einen wesentlich größeren Anteil an den Gesamtexporten haben, was für die Analyse der georgischen Handelsstruktur von Bedeutung ist. Während das Reexportgeschäft in den letzten zwei Jahren florierte, ist die Zukunft des Sektors weniger sicher. Die Entwicklung wird nicht nur vom Krieg in der Ukraine abhängen, sondern auch von Chinas zunehmender Rolle als Autoexporteur für den zentralasiatischen und russischen Markt. Die aktuellen Zahlen könnten also durchaus eine vorübergehende Entwicklung sein. Der Anteil Russlands an den georgischen Exporten, vor allem bei den im Inland produzierten landwirtschaftlichen Waren, ist weitgehend stabil geblieben. Die Importe haben stark zugenommen, was jedoch auf die Preisentwicklung bei Erdölprodukten zurückzuführen ist und nicht als dauerhafte Veränderung interpretiert werden sollte. Insgesamt hat der Krieg zwar zu erheblichen Verschiebungen in der georgischen Handelsstruktur geführt, doch dürften viele dieser Entwicklungen nur vorübergehend sein.

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Weitere Informationen über das wirtschaftliche Risikopotenzial Georgiens gegenüber Russland („Exposure“), auch über den Warenhandel hinaus, finden Sie in Newsletter Nr. 53.