Zum Hauptinhalt
Dr. Justina Budginaite-Froehly, Robert Kirchner

Graduelle Stabilisierung der Wirtschaftslage

Nachdem das belarussische BIP im vergangenen Jahr um 4,7% eingebrochen ist, zeigt die Wirtschaft nun erste Stabilisierungstendenzen. Trotzdem wird die Wirtschaft auch in diesem Jahr um weitere 0,4% schrumpfen, und erst im kommenden Jahr um 3,4% wachsen. Ein Grund für die aktuelle Stabilisierung ist die erfolgte Re-Orientierung des Außenhandels, der nach einem Einbruch im letzten Jahr wieder expandiert. Sektoral leiden insbesondere die von den Sanktionen direkt betroffenen Bereiche wie Transport und Logistik. Aber auch der IT-Sektor leidet deutlich unter Abwanderung und Verlagerung von Unternehmen.

  • Belarus
NL 82 | Mai - Juni 2023
Makroökonomische Analysen und Prognosen

Hohe Inflation, die nur durch administrative Maßnahmen kurzfristig unter Kontrolle gebracht werden konnte, hat zu allgemein sinkenden Reallöhnen bzw. einem sinkenden Lebensstandard geführt. Auch im öffentlichen Haushalt zeigt sich – trotz fehlender Daten – die weiterhin schwierige wirtschaftliche Lage deutlich.

Stabilisierung der Wirtschaft

Im Jahr 2022 ist die belarussische Wirtschaft um 4,7% zum Vorjahr geschrumpft. Damit erlebte Belarus den schwersten Einbruch seiner Wirtschaftsleistung seit der Transformationskrise in den 90er Jahren.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Datawrapper zu laden.

Inhalt laden

Der starke Rückgang der Wirtschaftsleistung war eine direkte Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der westlichen Sanktionen, die im Zusammenhang mit der Unterstützung des Krieges auch gegen Belarus eingeführt wurden. Die Sanktionen haben einen Wegfall von Absatzmärkten in der EU verursacht, den Zugang zum globalen Finanzsystem für Belarus eingeschränkt, massive Logistikprobleme verursacht sowie eine Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften aus dem Land begünstigt. Wegen seiner engen Verflechtung mit Russland war die belarussische Wirtschaft auch von den negativen wirtschaftlichen Entwicklungen in Russland betroffen. Zudem ist der ukrainische Absatzmarkt, der vor dem Krieg eine wichtige Rolle für die belarussischen Exporte gespielt hatte, für Belarus komplett ausgefallen.

Obwohl die instabile Lage in der Region und die Sanktionen schwerwiegende Probleme für Belarus ausgelöst haben, passt sich die belarussische Wirtschaft graduell an die neue Realität an. In den ersten vier Monaten dieses Jahres ist die Wirtschaftsleistung nur noch um weitere 0,6% zum Vorjahr zurückgegangen. Die aktuelle GET-Prognose sieht für das Gesamtjahr 2023 einen leichten Rückgang von 0,4% zum Vorjahr vor und erwartet ein Wachstum von 3,4% im Jahr 2024. Hauptreiber des Wachstums im kommenden Jahr werden vor allem die positiven Nettoexporte – bedingt durch eine fortschreitende Re-Orientierung der Exporte – und eine sich erholende inländische Konsumnachfrage sein.

Sektorale Dynamik

Trotz erster Anzeichen einer allgemeinen wirtschaftlichen Stabilisierung leiden einige Wirtschaftssektoren besonders stark unter den Folgen des Krieges und der Sanktionen. Der Handel und der Transportsektor schrumpften im Jahr 2022 entsprechend um 12,4% und 16,8% zum Vorjahr. Sogar der ehemalige Wirtschaftsmotor IKT-Sektor ging zum ersten Mal um 2,2% zum Vorjahr zurück, was vor allem auf die negativen Folgen der Abwanderung und der Verlagerung der IT-Unternehmen ins Ausland zurückzuführen ist.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Datawrapper zu laden.

Inhalt laden

Landwirtschaft war der einzige Sektor, der im Jahr 2022 Wachstum verzeichnete (4,4% z. Vj.). Dies hing mit der guten Ernte, staatlicher Unterstützung und dem aktuellen Sanktionsregime zusammen, das die Landwirtschaft nicht betrifft.

Sinkender Lebensstandard

Die belarussische Bevölkerung ist darüber hinaus den negativen Folgen einer hohen Inflation ausgesetzt. Diese erreichte im Juli 2022 ihren Höchstwert von 18,1% zum Vorjahr. Aufgrund der im Oktober eingeführten staatlichen Preiskontrollen und der Stabilisierung des Wechselkurses konnte die Inflation in der zweiten Hälfte des letzten Jahres jedoch leicht eingedämmt werden und lag zum Jahresende bei 12,8% zum Vorjahr.

Obwohl die Inflationszahlen in diesem Jahr (auch aufgrund von Basiseffekten) weiter zurückgehen (Apr-23: 4,7% z. Vj.), verbleiben erhebliche Risiken für die Weiterentwicklung der Lage, besonders im Fall einer Lockerung der staatlichen Preiskontrollen.

Die realen Monatslöhne sanken im Jahr 2022 um -1,8% zum Vorjahr. Der negative Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort: Im ersten Quartal 2023 gingen die Reallöhne um -1,7% zum Vorjahr zurück. Die Reallöhne im IKT-Sektor sanken sogar um -10,3% zum Vorjahr, was wiederum nicht nur mit der hohen Inflation, sondern auch mit der bereits erwähnten Krise des IT-Sektors zusammenhing.

Staatsfinanzen unter Druck

Seit Mitte 2022 verwehrt Belarus den Zugang zu Fiskaldaten, was eine klare Indikation für erhebliche Probleme bei den Staatsfinanzen ist. Trotz intransparenter Datenlage kann man die negativen Folgen der überwiegend gegen die staatlich-dominierten Sektoren gerichteten Sanktionen deutlich erkennen. Die Staatseinnahmen gingen erheblich zurück, und da die Staatsausgaben nicht schnell genug und nicht im gleichen Umfang an die sinkenden Einnahmen angepasst werden konnten, wuchs das Haushaltsdefizit rasant (4,9% des BIP im Jahr 2022 nach 1,7% des BIP im Jahr 2021).

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Datawrapper zu laden.

Inhalt laden

Trotz des hohen Haushaltsdefizits war die Staatsverschuldung im Jahr 2022 etwas niedriger als ein Jahr zuvor und lag bei 39,8% des BIP (2021: 41,2% des BIP). Nachdem Belarus seine internationalen Eurobonds nicht vertragsgemäß bedient hatte, stellten internationale Ratingagenturen Zahlungsausfall fest. Dies und die Sanktionen haben Belarus von internationalen Finanzmärkten abgeschnitten. Daher wuchs die Abhängigkeit seitens Belarus von Russland (und ggf. China) als den nunmehr einzig verbleibenden Kreditgebern massiv.

Umorientierung des Außenhandels

Auch die Handelsdaten sind nur noch eingeschränkt zugänglich, was auf erhebliche Umorientierungsmanöver seitens Belarus hinweist. Aufgrund der Sanktionen wurden frühere für die EU bestimmte belarussische Exporte nunmehr in die GUS-Länder (vor allem Russland) und in weitere Märkte (z.B. China) umgeleitet.

Trotzdem schrumpften im Jahr 2022 sowohl Importe nach Belarus (-4,2% z. Vj.), als auch belarussische Exporte (-6,0% z. Vj.). Aufgrund der Sanktionen (Importverbot seitens EU, Schwierigkeiten bei Logistik und Zahlungsabwicklung) sind Exporte in die Länder außerhalb der GUS sogar um -8,2% zum Vorjahr eingebrochen. Exporte in die GUS-Länder (vorwiegend Russland) wuchsen hingegen im Jahr 2022 um 9,1% zum Vorjahr. Dadurch stieg die Abhängigkeit Belarus von Russland auch in diesem Bereich massiv an.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Datawrapper zu laden.

Inhalt laden

Die neuesten Entwicklungen im Bereich Außenhandel zeigen den Beginn einer positiven Dynamik im ersten Quartal dieses Jahres. Sowohl Exporte als auch Importe wuchsen entsprechend um 12,6% und 15,8% zum Vorjahr, was auf eine erfolgreiche Etablierung neuer Handelsrouten über die GUS-Länder hinweist.

Ausblick

Nach einer schweren Rezession im vergangenen Jahr fasst die Wirtschaft langsam wieder Tritt, auch wenn sie dieses Jahr nochmal leicht schrumpfen wird. Auch wenn im kommenden Jahr wieder Wachstum prognostiziert wird, sollte dies kein Anlass zur Zufriedenheit sein. Die massiven Probleme der ehemaligen Wachstumslokomotive IT Sektors, der spiegelbildlich für den Privatsektor steht, die weiter zunehmende wirtschaftliche Verflechtung mit Russland und die Abkoppelung von westlichen Technologien und Investitionen stimmen mittel- und langfristig nicht optimistisch für die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Lage.

Download als PDF

Bild: ©ImageFlow-stock.adobe.com

Dieser Newsletter basiert auf der 17. Ausgabe des Wirtschaftsausblicks Belarus.