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Nicolae Malic

EU-Harmonisierung: Moldaus Landwirtschaft am Scheideweg

Mit der Annäherung Moldaus an die EU steht der Sektor für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung an einem Scheideweg seiner Entwicklung. Die Aussicht auf den Beitritt zum EU-Binnenmarkt mit seinen 500 Mio. Verbrauchern bietet enorme Wachstumschancen durch verbesserten Handel und finanzielle Unterstützung. Der Harmonisierungsprozess ist jedoch ein mühsamer Vorgang, der erhebliche Zeit- und Finanzressourcen erfordert. Für den Landwirtschaftssektor bedeutet dies die Übernahme eines großen Teils des EU-Rechtsbestands (Acquis) in die nationale Gesetzgebung, die Schaffung komplexer institutioneller Strukturen sowie einen Paradigmenwechsel in der öffentlichen Verwaltungspolitik. Besonders herausfordernd wird die Erfüllung der strengen EU-Standards für Lebensmittelsicherheit, Veterinär- und Pflanzenschutz und der Ausbau der institutionellen Kapazitäten sein.

  • Moldau
NL 86| November-Dezember
Agrarsektor und Ernährungswirtschaft
Landwirtschaft für Wirtschaft von großer Bedeutung

Der Landwirtschaftssektor ist wichtig für die lokale Lebensmittelproduktion, die Unterstützung angemessener Lebensgrundlagen in Moldaus ländlichen Gebieten und die Generierung von Einkommen, die mit städtischen Gebieten vergleichbar sind. Landwirtschaftliche Flächen nehmen fast 2,5 Mio. Hektar (75% der Gesamtfläche Moldaus) ein, wovon zwei Drittel als Ackerland genutzt werden. Der Primärsektor beschäftigt über 27% der Erwerbsbevölkerung und trägt fast 10% zum BIP Moldaus bei. Zusammen mit der Lebensmittelverarbeitung macht der Landwirtschaftssektor mehr als 16% des BIP aus, und mit 45% der gesamten Exportgüter sind Agrar- und Lebensmittelprodukte „Made in Moldova“ ein wichtiger Devisenbringer.

Weiterhin Herausforderungen für Landwirtschaft

Trotz seiner dominierenden Rolle in der Wirtschaft steht der moldauische Landwirtschaftssektor weiterhin vor ernsthaften Einschränkungen, die sein volles Potenzial behindern. Die Einkommen von Landwirten liegen unter den Löhnen anderer Branchen. Die Abhängigkeit von Import-Export-Märkten sowie die massiven Störungen der Transitwege und Lieferketten für wichtige Güter haben den Sektor stark beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass Moldau stark auf Importe landwirtschaftlicher Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmittel angewiesen ist. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind die Preise dieser Produkte stark gestiegen, was die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit weiter beeinträchtigt hat. Diese Faktoren haben zu Unsicherheiten beigetragen, die die wirtschaftliche Stabilität des Landes be-einträchtigen und Investitionen in die Landwirtschaft verringern. Zudem leidet Moldaus Landwirtschaft unter begrenztem Zugang zu ländlicher Infrastruktur, Technologie und Maschinen (insbesondere für die Nachernteverarbeitung). Landwirtschaftliche Produktion ist nicht versichert, was Landwirte anfällig für klimatische Extremereignisse macht. Einige Landwirte zeigen sich zögerlich, zu investieren, Kredite aufzunehmen oder Zuschüsse zu beantragen, da sie über wenig finanzielle Kenntnisse verfügen. Auch fehlt es an guten landwirtschaftlichen Praktiken, Markenbildung und Marketingmethoden, um Wertschöpfung zu steigern. Darüber hinaus zeigen sich Kleinbauern zurückhaltend, ihre Verhandlungsmacht durch kooperative Ansätze zu verbessern.

Moldau unterstreicht sich seinen EU-Ambitionen

Nach der Entscheidung des Europäischen Rates im Dezember 2023, Beitrittsverhandlungen mit Moldau aufzunehmen, initiierte Präsidentin Maia Sandu ein landesweites Verfassungsreferendum, um die EU-Mitgliedschaft als strategisches Ziel in der Verfassung zu verankern und diesen Weg in Zukunft schwieriger umkehrbar zu machen. Am 20. Oktober 2024 unterstützte die moldauische Bevölkerung die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen und das Bekenntnis zur EU-Mitgliedschaft. Das Ergebnis des Referendums war äußerst knapp: 50,35 % der Stimmen – hauptsächlich aus den zentralen Regionen Moldaus und der Diaspora – sprachen sich für den EU-Beitritt aus. Dies sendet ein starkes Signal an EU-Investoren und moldauische Landwirte, schafft Vertrauen und Vorhersehbarkeit für Investitionen in die Modernisierung der Agrarwirtschaft, während das Land sich dem Beitritt zum EU-Binnenmarkt nähert.

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APD-Projekt unterstützt die EU-Harmonisierung

Der EU-Harmonisierungsprozess ist im Landwirtschaftssektor besonders anspruchsvoll, da das Gesetzesvolumen, die Komplexität der verfügbaren Instrumente, die derzeit schwache Kapazität und die erforderlichen institutionellen Anpassungen enorme Herausforderungen darstellen. Um diese anzugehen, wurde das deutsch-moldauische Projekt „Agrarpolitischer Dialog“ (APD) ins Leben gerufen, um technische Unterstützung und vorrangige Empfehlungen für Moldaus EU-Beitritt im Bereich Landwirtschaft bereitzustellen. Im Oktober 2023 startete das moldauische Landwirtschaftsministerium (MAIA) in Zusammenarbeit mit der EU-Delegation in Moldau und der FAO die Plattform „Agrifood Partnership“. Diese Initiative mündete in eine Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung des moldauischen Agrar- und Lebensmittelsektors auf seinem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Aufbauend auf dieser Erklärung verstärkte das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Zusammenarbeit mit MAIA durch das APD-Projekt, ein dreijähriges technisches Hilfsprogramm zur Angleichung der moldauischen Agrarverwaltung an EU-Standards.

EU-Harmonisierung ist eine anspruchsvolle Aufgabe

Dieser Ansatz umfasst den Aufbau robuster institutioneller und administrativer Strukturen als Grundlage für Reformen. Ebenso wichtig ist die Entwicklung zuverlässiger Datensysteme, die evidenzbasiertes politisches Handeln und effizientes Ressourcenmanagement ermöglichen. Frühzeitige Investitionen in EU-Standards für Lebensmittelsicherheit, Veterinärwesen und Umweltmaßnahmen sind ebenfalls entscheidend, da diese komplex und umfassend sind. Erfahrungen aus früheren EU-Erweiterungsrunden zeigen, dass die frühzeitige Übernahme dieser Standards hilft, Anpassungskosten nach dem Beitritt zu senken und den Zugang zum EU-Binnenmarkt zu beschleunigen. Ein wesentlicher nächster Schritt ist die Neugestaltung der moldauischen Agrarpolitik, um sie stärker an die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU anzupassen, die Zugang zu erheblichen finanziellen Ressourcen bietet. Dieser Prozess umfasst auch eine Neuausrichtung des derzeitigen Subventionssystems. Während Moldaus aktuelle Unterstützung auf Investitionszuschüsse ausgerichtet ist, priorisiert die GAP direkte finanzielle Unterstützung zur Stabilisierung der Einkommen der Landwirte.

Fortschritte bei der Annäherung an EU-Standards

Das moldauische Landwirtschaftsministerium (MAIA) macht bereits Fortschritte im Harmonisierungsprozess. Insbesondere die Nationale Strategie für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (NSARD) 2023–2030 bildet den übergeordneten politische Rahmen, der teilweise an die GAP angeglichen ist. Derzeit durchläuft sie einen legislatorischen Prüfprozess, um über 900 EU-Rechtsakte aus Kapitel 11 des EU-Acquis (Landwirtschaft und ländliche Entwicklung), Kapitel 12 (Lebensmittelsicherheit, Veterinär- und Pflanzenschutzpolitik) und Kapitel 13 (Fischerei) in nationales Recht umzusetzen. Zu den bemerkenswerten Fortschritten gehört die Einrichtung einer EU-konformen Zahlstelle „AIPA“, die landwirt-schaftlichen Subventionen verwaltet und kontrolliert. Darüber hinaus wird im Parlament über ein Gesetz zur Einrichtung einer Landwirtschaftskammer deliberiert. Ziel ist es, die Beratungsdienste zu verbessern und den Stimmen der Landwirte mehr Geltung zu verschaffen.

Ausblick

Auch wenn es bisher noch kein konkretes Datum für den EU-Beitritt gibt, ist Moldau auf dem richtigen Weg, die Herausforderungen der Harmonisierung zu bewältigen, was sich auch positiv auf den Landwirtschaftssektor und die Gesundheit der Verbraucher auswirken wird.
Vor der Gestaltung der künftigen Agrarpolitik nach 2030 muss die moldauische Agrarverwaltung frühzeitig Entscheidungen darüber treffen, (i) wie der Landwirt-schaftssektor seinen Wettbewerbsvorteil am besten erreichen kann, (ii) welche Landwirtschaftsgruppen von der GAP-Unterstützung profitieren sollen und (iii) wie Einkommensziele der Landwirte mit Investitionen zur Kapitalbildung in der Landwirtschaft in Einklang gebracht werden können.

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Nicolae Malic ist stellvertretender Teamleiter des Deutsch-moldauischen Agrarpolitischen Dialogs
Der Text gibt die Meinung des Autors wieder und spiegelt nicht automatisch die Ansichten des German Economic Team wider.