Ende der unilateralen Handelsmaßnahmen der EU: Was nun?
Die unilateralen Handelsmaßnahmen (autonomous trade measures; ATMs) der EU für die Ukraine liefen im Juni 2025 aus. Die Mitte 2022 eingeführten ATMs hatten die DCFTA-Ausnahmen von der Zollbefreiung vorübergehend aufgehoben, von denen die Zollkontingente (tariff rate quotas; TRQs) für ausgewählte Agrar- und Lebensmittelprodukte die wichtigsten waren. So verdoppelten sich die ukrainischen Exporte in die EU von Produkten, die den TRQs unterliegen, auf insgesamt 4,7 Mrd. USD.
Mit dem Auslaufen der ATMs wird die Handelsregelung durch Artikel 29 des Assoziierungsabkommens festgelegt und zwischen zwei extremen Optionen liegen. Das negativste Szenario wäre die Wiedereinführung der ursprünglichen DCFTA-TRQs, was zu Exportverlusten in die EU von 1,5 Mrd. USD führen würde. Sollte die EU alle TRQs abschaffen, würde dies zu zusätzlichen ukrainischen Exporten in Höhe von 0,3 Mrd. USD führen.
Exporte in die EU, die DCFTA-TRQs unterliegen
Das DCFTA sah zollfreien Zugang mit einigen Ausnahmen vor. Die Wichtigsten betrafen Zollkontingente der EU für ausgewählte ukrainische Agrar- und Lebensmittelprodukte. Im Juni 2022 hob die EU diese Einschränkungen vorübergehend durch unilaterale Handelsmaßnahmen auf. Die ukrainischen Exporte dieser Produkte verdoppelten sich auf 4,7 Mrd. USD zwischen 2021 und 2024, wovon jene oberhalb der TRQs 4,0 Mrd. USD ausmachen. Außerdem gab es eine starke Exportneuausrichtung, wobei der Anteil der EU an den Gesamtexporten von Waren, die den DCFTA-TRQs unterliegen, von 18% (2021) auf 42% (2024) anstieg.
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Im Zuge der ATMs stieg die Zahl der Produktkategorien mit Exporten oberhalb der TRQs in die EU von 11 (2021) auf 18 (2024). Besonders hoch war der Anstieg bei den Exporten von Mais, Weizen, Geflügel und Zucker.
Was sind die möglichen nächsten Schritte?
Mit dem Ablauf der ATMs im Juni 2025 stellt sich die Frage nach dem zukünftigen Handelsregime. Wir haben vier mögliche Szenarien untersucht, darunter zwei extreme und zwei dazwischenliegende Optionen. Als ein Extremszenario betrachten wir die Rückkehr zu den ursprünglichen DCFTA-TRQs (S1), wodurch Zölle auf 85% der ukrainischen Exporte, die den TRQs unterliegen, wieder eingeführt würden. Dies ist das schwerwiegendste Szenario für die Ukraine. Als weiteres Extremszenario modellieren wir die dauerhafte Abschaffung der DCFTA-TRQs (S2). Dies entspricht dem Status quo unter den EU-ATMs. Es ist auch das Regime, das das Land beim EU-Beitritt hätte. Unter S2 werden jedoch bestehende Probleme einiger EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf ukrainische Exporte nicht gelöst und könnten sich sogar verschärfen. Dies könnte wiederum die aktuellen Handelsbeziehungen und die Beitrittsgespräche beeinflussen.
Daher berücksichtigen S3 und S4 mittlere Optionen, bei denen die ursprünglichen DCFTA-TRQs für sensible Produkte wieder eingeführt und die TRQs für die übrigen Waren abgeschafft werden. Der Hauptunterschied zwischen S3 und S4 liegt in den Annahmen über das TRQ-Niveau für sensible Produkte. S3 sieht die Rückkehr zu den ursprünglichen DCFTA-TRQs vor, während S4 die neuen TRQs auf dem Niveau der Exporte von 2024 festlegt. Diese beiden Szenarien sind abhängig von der Auswahl sensible Produkte. Wir definieren diese Produkte als solche, die zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen:
- Höhe des EU-Zolls außerhalb der Kontingente
- Einführung eines Importverbot seit 2023 oder
- Einführung einer Schutzklausel.
Auf Basis dieser Definition betrachten wir sechs Produkte als sensibel: Weizen, Zucker, Geflügel, Honig, Mais und Hafer. Bei der Festlegung der Schutzklauseln definierte die EU die folgenden Produkte als „sensibel“: Geflügel, Eier, Zucker, Hafer, Mais, Gries und Honig.
S1: Rückkehr zu den ursprünglichen DCFTA-TRQs
S1 ist das schwerwiegendste Szenario. Die ukrainischen Exporte in die EU, geschätzt auf Basis der EU-Daten zu gehandelten Mengen und der ukrainischen Preisdaten, würden um 1,5 Mrd. USD pro Jahr im Vergleich zu 2024 (als Basisjahr) sinken. Dies entspricht 3,6% der Gesamtexporte und 0,8% des BIP (2024). Der Einfluss der Rückkehr zu den ursprünglichen DCFTA-TRQs auf die Weizenexporte wäre am stärksten, mit einem Verlust von 0,9 Mrd. USD. Weitere Produkte, die voraussichtlich hohe Verluste bei den Exporten in die EU erleiden werden, sind Zucker (-0,2 Mrd. USD) und Geflügel (-0,1 Mrd. USD). Aufgrund der hohen Elastizität der Importnachfrage könnte der Handel mit Weizen, Zucker, Trauben und Apfelsäften sowie Gerste wieder innerhalb der TRQ-Grenzen zurückkehren.
S2: Vollständige Zollliberalisierung
S2 ähnelt der Situation während der ATMs in Bezug auf den Marktzugang, bietet jedoch eine langfristige Vorhersehbarkeit, die unter den ATMs fehlt. Langfristig wird die Öffnung des EU-Marktes Investitionen in zusätzliche Produktion anregen. Kurzfristig gehen wir jedoch davon aus, dass die Exporte der Ukraine von Produkten, die den TRQs unterliegen, in die EU innerhalb der bestehenden Kapazitäten bleiben werden, die als Maximum der physischen Exporte in die EU in den letzten drei Jahren angenommen werden. Infolgedessen wird der unmittelbare Effekt der vollständigen Liberalisierung moderat ausfallen. Die Exporte der Ukraine in die EU würden um 0,3 Mrd. USD steigen, was ca. 0,7% der Gesamtexporte und 0,2% des BIP entspricht. Basierend auf ihrer bisherigen Entwicklung wären Geflügel- und Zuckerproduzenten die Hauptbegünstigten, mit einem Anstieg ihrer Exporte.
S3: TRQs für sensible Produkte, keine weiteren TRQs
Das Ergebnis von S3 ist ähnlich wie bei S1 und würde zu erheblichen Verlusten für die ukrainischen Exporte in die EU führen. Sie würden um 1,2 Mrd. USD sinken, was ca. 2,9% der Exporte und 0,7% des BIP (2024) entspricht. Die Verluste sind hauptsächlich auf die Weizenexporte zurückzuführen, die um 0,9 Mrd. USD zurückgehen würden. Wie bei S1 könnte der Handel mit Weizen und Zucker wieder innerhalb der DCFTA-TRQ-Grenzen liegen. Wenn wir für unsere Schätzung die Liste sensibler Produkte für die Schutzklauseln der EU ansetzen, bei der Weizen als der Haupttreiber nicht als sensibel gilt, würde der Exportverlust in die EU auf ca. 0,3 Mrd. USD sinken.
S4: Höhere TRQs für sensible Produkte
S4, bei dem die neuen TRQs auf dem Niveau der Exporte von 2024 festgelegt werden, ermöglicht die Beibehaltung des Status quo und die Unterstützung der Ukraine. Es wird jedoch auch eine Obergrenze für das Exportwachstum der Ukraine festgelegt, bevor der volle Zugang mit der Mitgliedschaft gewährt wird. Die Exporte der Ukraine in die EU würden um 77 Mio. USD steigen.
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Implikationen und Ausblick
Das Auslaufen der ATMs könnte einen erheblichen Schock für die ukrainischen Exporte in die EU darstellen. Je nach Szenario könnten die Exporte in die EU um bis zu 1,5 Mrd. USD pro Jahr zurückgehen. Besonders betroffen wären Weizen, Zucker und Geflügel, wenn die ursprünglichen DCFTA-TRQs wieder eingeführt werden.
Die Exportrückgänge von 1,5 Mrd. USD in die EU entsprechen jedoch nicht den Verlusten der Exporterlöse der Ukraine. Angesichts der Wiedereinführung der DCFTA-TRQs wird erwartet, dass ukrainische Produzenten ihre Exporte auf Märkte außerhalb der EU umorientieren. Daher wird der Verlust hauptsächlich durch Preisunterschiede und Transportkosten zwischen EU- und Nicht-EU-Märkten entstehen, nicht durch Exportmengen. Die gesamten Exporterlösverluste werden daher deutlich niedriger als 1,5 Mrd. USD ausfallen.
Im Jahr 2021 begannen die EU und die Ukraine Konsultationen über eine weitere Zollliberalisierung gemäß Artikel 29 des Assoziierungsabkommens. Russlands Aggression und alle anschließenden Ereignisse haben jedoch die Gespräche verzögert. Die Konsultationen wurden wieder aufgenommen, aber alle notwendigen Verfahren wurden nicht bis zum 5. Juni abgeschlossen. Diese Gespräche werden definieren, welchem Szenario die ukrainischen Exporte in die EU folgen.
Veronika Movchan ist Forschungsdirektorin am Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung in Kyjiw.
Dieser Newsletter basiert auf der Policy Study „The expiration of EU Autonomous Trade Measures for Ukraine: What’s next? Four scenarios and implications„.