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Robert Kirchner, Garry Poluschkin

Ein neues IWF-Programm für die Ukraine

Am 31. März genehmigte der IWF ein neues Vierjahresprogramm für die Ukraine mit einem Gesamtvolumen von 15,6 Mrd. USD im Rahmen einer Erweiterten Fondsfazilität (EFF). Dies folgt auf mehrere kurzfristige Unterstützungsmaßnahmen des IWFs im Jahr 2022. Ein solches Programm, für ein Land, das einer militärischen Invasion ausgesetzt ist, ist auch eine neue Erfahrung für den IWF, der offen die erheblichen finanziellen Risiken einer solchen Konstellation anspricht und von einigen der wichtigsten internationalen Partner der Ukraine finanzielle Zusicherungen erhielt. Wie jedes Programm enthält auch dieses Konditionalitäten, die darauf abzielen, die makrofinanzielle (insbesondere fiskalische) Stabilität während des Krieges zu gewährleisten, die langfristige Wachstumsperspektive zu verbessern und gleichzeitig den Weg zum EU-Beitritt zu ebnen.

  • Ukraine
NL 174 | April 2023
Finanzmärkte

Die Rolle des IWFs bei der Unterstützung der Ukraine geht weit über seine Finanzierungsfunktion hinaus – die 15,6 Mrd. USD sind ein relativ kleiner Teil im Vergleich zu den 115 Mrd. USD, die der Ukraine derzeit insgesamt zugesagt wurden. Dennoch machen die wirtschaftliche und finanzielle Erfahrung des IWFs, seine Konditionalitäten sowie seine Koordinierungsposition an der Schnittstelle zwischen den internationalen Partnern und der Ukraine seinen Beitrag zur Resilienz und dem Wiederaufbau der Ukraine so einzigartig.

IWF-Unterstützung seit Beginn der Invasion

Unmittelbar nach Beginn der russischen Invasion einigten sich die Ukraine und der IWF die zu diesem Zeitpunkt laufende Bereitschaftskreditvereinbarung (SBA), die während der COVID-Krise konzipiert wurde, zu kündigen, und stattdessen ein Programm für kritische Finanzierung („Rapid Financing Instrument“) aufzusetzen. Die Ukraine erhielt im März 2022 eine Auszahlung von 1,4 Mrd. USD. Eine zweite Auszahlung in Höhe von 1,3 Mrd. USD erfolgte im Oktober 2022 im Zusammenhang mit dem neu geschaffenen „Food Shock Window“. Auf Anfrage der ukrainischen Regierung wurde im Dezember 2022 mit dem IWF ein Monitoringprogramm eingerichtet, das keine finanzielle Unterstützung beinhaltete, sondern vier Monate lang die Wirtschaftspolitik überwachte. Es ebnete schließlich den Weg für ein vollwertiges Programm, das am 31. März 2023 von der IWF-Leitung genehmigt wurde.

Neues Programm mit zwei Phasen

Das neu verabschiedete Programm soll die Ukraine dabei unterstützen, die Wirtschaft während des Krieges zu stabilisieren, aber auch eine Reihe von Reformen einleiten, um die Erholung nach Kriegsende voranzutreiben. Da die Kreditvergabe an eine Volkswirtschaft, die sich in einem Krieg befindet, mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden ist, sicherten die G7-Staaten und eine Reihe von EU-Ländern die Vereinbarung mit Garantien ab. Die EFF hat eine Laufzeit von 48 Monaten, ein Gesamtkreditvolumen von 15,6 Mrd. USD und ist in zwei Phasen unterteilt. Die erste Phase konzentriert sich auf die Verankerung der makrofinanziellen Stabilität während der der Dauer des Krieges. Sie umfasst Maßnahmen zur Steigerung der Staatseinnahmen, zur Inflationsbekämpfung sowie der Wechselkurs- und Finanzstabilität. In der zweiten Phase geht es um strukturelle Reformen in einem Nachkriegsumfeld, in dem sich die Ukraine vor dem Hintergrund eines EU-Beitritts intensiver auf diese und den Wiederaufbau konzentrieren kann. Nachdem die IWF-Leitung das Programm genehmigte, wurde Anfang April 2023 eine Auszahlung von 2,7 Mrd. USD bereitgestellt. Zwei weitere Auszahlungen sind für dieses Jahr geplant, wenn die Ukraine die Programmziele erreicht. Angesichts der Schuldenrückzahlungen der Ukraine an den IWF belaufen sich die Nettoauszahlungen jedoch auf maximal 1,9 Mrd. USD.

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Der IWF hebt die sehr große Unsicherheit hervor, indem er eine Basisprognose für das Wirtschaftswachstum für 2023 mit einer Spanne von -3 % bis +1 % zum Vorjahr anstelle einer typischen Punktschätzung angibt. Auch ein Negativszenario wird ausdrücklich berücksichtigt. Im Basisszenario wird eine Verlangsamung der Inflation auf 21,1% zum Vorjahr prognostiziert. Weiterhin blockierte Transportwege für einige wichtige Exportgüter bringen die Leistungsbilanz ins Defizit. Insgesamt bleiben die fehlende wirtschaftliche Erholung und die anhaltenden militärischen Anstrengungen die treibenden Kräfte hinter einem hohen Haushaltsdefizit. Im Basisszenario Zuschüsse) ansteigt und damit noch größer ist als 2022. Im Negativszenario wird mit einem weiteren Rückgang der Wirtschaft um 10% und einem Anstieg der Inflation auf 27,6% gerechnet. In diesem Fall würde das Haushaltsdefizit 35% des BIP (ohne Zuschüsse) erreichen – eine massive Herausforderung für die Ukraine und ihre Partner. Angesichts dieser Szenarien für den Finanzbedarf spielen die Auszahlungen des IWF nur eine geringe Rolle bei der Schließung der Haushaltslücke.

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Die EU hat im Laufe des Jahres Finanzhilfe in Höhe von umgerechnet 19 Mrd. USD zugesagt, wovon 4,8 Mrd. USD bereits ausgezahlt wurden, und die USA 14 Mrd. USD, wovon 3,5 Mrd. USD ausgezahlt wurden. Insgesamt schätzt der IWF, dass der Ukraine bisher 115 Mrd. USD zur finanziellen Unterstützung zugesagt wurden.

Erfolg des Programms hängt von fünf Kriterien ab

Dennoch ist das IWF-Programm mit seinen Konditionalitäten ein wichtiger Reformanker. Das Programm setzt den Fokus auf fünf Hauptkriterien:

  • Fiskaltransparenz und Einnahmensteigerung
  • Finanzierungsstrategie und Schuldentragfähigkeit
  • Geld- und Wechselkurspolitik
  • Finanz- und Bankenpolitik
  • Reformen im Bereich Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und Wachstum

Diese Konditionalitäten zielen darauf ab, die makrofinanzielle Stabilität während des Krieges zu gewährleisten, die langfristige Wachstumsperspektive zu verbessern und gleichzeitig den Weg für einen EU-Beitritt zu ebnen. Sie sind in drei vorrangige Maßnahmen sowie 19 strukturelle Reformen unterteilt und werden in elf Überprüfungen bis März 2027 überwacht. Jede der erfolgreichen Überprüfungen wird weitere Auszahlungen ermöglichen. Dabei werden sich die meisten Überprüfungen auf Fragen der Haushalts- und Schuldenstabilität konzentrieren.

Schuldentragfähigkeit

Die Prognosen des IWFs gehen von einem weiteren Anstieg der Staatsverschuldung aus, nachdem sie kriegsbedingt im Jahr 2022 bereits von 50% auf 82% des BIP wuchs. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Verschuldung in allen Szenarien als nicht tragfähig eingestuft wird, es sei denn, es gibt zusätzliche finanzielle Unterstützung zu sehr vorteilhaften Bedingungen, einschließlich einer Umschuldung. Die konkrete Form und die Einzelheiten dieser Umstrukturierung sind nicht festgelegt und sollten zu einem späteren Zeitpunkt ausgearbeitet werden, wenn mehr Gewissheit über die Wirtschaftsaussichten besteht.

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Ausblick

Die wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung eines Landes, das sich im Krieg befindet, ist eine neue Aufgabe für den IWF, und die außerordentlich hohen Risiken, die mit dem Programm verbunden sind, werden deutlich erwähnt und kommuniziert. Dennoch ist es ein Risiko, das wert ist, eingegangen zu werden. Das neue mehrjährige Programm wird eine prominente Doppelrolle als Katalysator für die fortgesetzte internationale Unterstützung der Ukraine sowie für Wirtschaftsreformen spielen. Diese sind notwendig, um die makroökonomische Stabilität während des Krieges aufrechtzuerhalten und eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung der Ukraine nach Beendigung des Krieges zu erreichen. In diesem Sinne geht die Rolle des IWF weit über das hinaus, was sein Finanzierungsanteil am gesamten Unterstützungspaket für die Ukraine vermuten ließe. Die Nutzung seiner umfangreichen wirtschaftlichen und finanziellen Erfahrung und die Koordinierung der Bemühungen vieler anderer internationaler Partner wird eine der Hauptaufgaben sein.

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