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Garry Poluschkin, Robert Kirchner

Die NBU und der lange Weg zurück

Während derzeit alle Augen auf die Fiskalpolitik der Ukraine gerichtet sind, sollte auch die Rolle der Geld- und Währungspolitik nicht unterschätzt werden. Sie hat ebenfalls dramatische Veränderungen seit Beginn der Invasion Russlands im vergangenen Jahr erfahren. Die Nationalbank der Ukraine (NBU) war praktisch über Nacht gezwungen, die Politik einer Inflationssteuerung (Inflation Targeting; IT) aufzugeben, den Wechselkurs zu fixieren und Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. Mehr als 16 Monate nach Beginn des Krieges mehren sich die Anzeichen dafür, dass diese drastische Kehrtwende richtig war und zur Stabilisierung der makroökonomischen Lage beigetragen hat.

  • Ukraine
NL 177 | Juli 2023
Finanzmärkte

Die Währungsreserven sind so hoch wie nie zuvor, der Wechselkurs steht nicht mehr unter Druck und die Inflation geht rapide zurück. Diese günstige Situation sowie die Verpflichtungen im Rahmen des IWF-Programms haben die NBU nun dazu veranlasst, eine Strategie zu verabschieden und zu veröffentlichen, die den langen Weg zu einer eventuellen Rückkehr zur makroökonomischen Politik der Vorkriegszeit skizziert. Obwohl viele kriegsbedingte Risiken bleiben, die diesen Schritt hin zu einer Liberalisierung der Kapitalkontrollen und einer größeren Flexibilität des Wechselkurses möglicherweise verzögern oder anhalten, so ist er doch ein Schritt in die richtige Richtung.

Hintergrund

Bis zum Beginn des großangelegten Krieges am 24. Februar 2022 betrieb die NBU erfolgreich als nominalen Anker eine Politik des IT mit einem flexiblen Wechselkurs. Der massive Schock der Invasion zwang die NBU jedoch zu einer rapiden 180-Grad-Wende. IT basiert auf einer wirksame Transmission des Leitzinses in die Realwirtschaft. Die Ukraine musste jedoch der monetären Haushaltsfinanzierung – eine Politik, die vor der Verhängung des Kriegsrechts verboten war – Vorrang vor der Preisstabilität einräumen, da die Wirtschaft kollabierte und die internationalen Finanzhilfen nicht in der Lage waren, die Haushaltslücke in den ersten Monaten des Krieges zu schließen. Darüber hinaus schwächte die Blockade der wichtigsten Exportrouten durch Russland die Effektivität des Transmissionsmechanismus erheblich. Aus diesen Gründen sah sich die NBU gezwungen, zur Stabilisierung der Erwartungen zu einer Politik des festen Wechselkurses als nominalem Anker für die Geldpolitik zurückzukehren und führte strenge Kapitalverkehrskontrollen ein.

Die Ukraine hat bei der Anpassung ihrer Geldpolitik an externe Schocks eine erfolgreiche Bilanz vorzuweisen. Als Russland 2014 seine Aggression begann, führte die Ukraine erfolgreich Kapitalverkehrskontrollen ein. Gleichzeitig wurden vorbereitende Schritte für den Übergang von einem festen Wechselkurs zum IT unternommen. Während das IT 2016 eingeführt wurde, wurde der Kapitalverkehr schrittweise bis 2019 liberalisiert. Laut makroökonomischer Theorie wirken sich Zinsentscheidungen der Zentralbank auf Kapitalströme aus. Diese Ströme verändern die Nachfrage nach der heimischen Währung. Daher ist ein festes Wechselkurssystem nur entweder mit autonomer Geldpolitik oder mit freien Kapitalströmen vereinbar („Trilemma“).

Das Trilemma des Wechselkursregimes

Quellen: Obstfeld et al. (2005), Link, Shambaugh und Klein (2013), Link.

Daher erfordert eine autonome Geldpolitik in einem festen Wechselkursregime Kapitalverkehrskontrollen. Die Ukraine musste also direkt nach Kriegsbeginn von A nach C wechseln.

War der Regimewechsel erfolgreich?

Obwohl es gute Gründe gibt, die Rolle breit angelegter Kapitalverkehrskontrollen in Frage zu stellen, war der Regimewechsel wichtig, um Erwartungen unter extrem hoher Unsicherheit zu beruhigen. Diese Politik trug somit zur Wahrung der makroökonomischen Stabilität unter sehr schwierigen Umständen bei. Die internationalen Reserven blieben auf einem ausreichendend hohen Niveau, noch bevor Finanzhilfen in größeren Umfängen ausbezahlt wurden.

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Die internationalen Reserven fielen zu keinem Zeitpunkt unter eine Importdeckung von drei Monaten. Seit Juli 2022 hat sich die Lage verbessert, da die Ukraine im Rahmen des Getreideabkommens einige landwirtschaftliche Erzeugnisse auf dem Seeweg exportieren kann. Außerdem kommen internationale Finanzhilfen nun regelmäßiger und vorhersehbarer. Aus diesen Gründen decken die internationalen Reserven derzeitig den Importbedarf von mehr als fünf Monaten. Die Verbesserung der makrofinanziellen Situation lässt sich auch an der Entwicklung der Abweichung zwischen dem offiziellen Wechselkurs und dem Kassamarktkurs ablesen, die im Wesentlichen nicht mehr vorhanden ist.

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Ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung der Wechselkurserwartungen und zur gestiegenen Nachfrage nach Einlagen in UAH war die starke Anhebung des Leitzinses durch die NBU Mitte 2022. Mit dem Ende der monetären Haushaltsfinanzierung – Ende der fiskalischen Dominanz über der Geldpolitik – wurde ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Normalisierung gemacht. Die Inflation ist seither rückläufig und in jüngster Zeit bewegte sich der ex-post reale Leitzins in den positiven Bereich.

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Daher ist es in der gegenwärtigen makrofinanziellen Situation nicht überraschend, dass die NBU weitere Schritte zur geldpolitischen Normalisierung ankündigt hat, um die Öffentlichkeit auf eine schrittweise Rückkehr von C zu A vorzubereiten, d. h. die Rückkehr zu einem Regime mit freiem Kapitalverkehr, flexiblen Wechselkurs und IT.

Strategie für einen langen Weg zurück

Im Rahmen des laufenden IWF-Programms (EFF) hat sich die Ukraine verpflichtet, eine an Bedingungen geknüpfte Strategie zu entwickeln, die den Übergang zu einem flexibleren Wechselkurs, die Lockerung der Kapitalverkehrskontrollen und die Rückkehr zum IT beschreibt. Diese Strategie wurde am 29. Juni genehmigt und am 7. Juli wurde ein Strategiedokument veröffentlicht. Die ersten Liberalisierungsschritte erfolgten jedoch bereits vorher. Insbesondere wurde seit April ausländischen Investoren die Rückführung von Kupons auf Staatsanleihen gestattet und im Juni führte die NBU Vereinfachungen zur Bedienung neu aufgenommener externer Kredite, sowie für Nichtbank-Finanzinstitutionen Vereinfachungen bei der Abhebung inländischer und ausländischer Währung aus ihren Bankguthaben ein.

Diese Strategie legt nun dar, dass, weitere Schritte zur Lockerung der Devisenbeschränkungen schrittweise erfolgen und als nächstes Handelstransaktionen in den Mittelpunkt rücken werden. Die Liberalisierung der Handelsfinanzierung, die Rückführung von Kupons auf festverzinsliche Wertpapiere sowie Transaktionen von Privathaushalten sollen in späteren Phasen folgen. Die Flexibilisierung des Wechselkurssystems und die Rückkehr zum IT werden durch die Beibehaltung eines straffen geldpolitischen Kurses mit einem positiven realen Leitzins und wieder eingeführten Maßnahmen zur Steuerung der Liquiditätspositionen im Bankensektor ergänzt.

Ausblick

Trotz der verbesserten Lage, die diese Strategie nun ermöglichte, wird jeder künftige Schritt nur nach einer Einzelfallbewertung der makroökonomischen Entwicklungen erfolgen, da die Unsicherheit weiterhin sehr groß ist. So sind beispielsweise das mögliche Ende des Getreideabkommens, eine sich verschlechternde Haushaltslage, verzögerte internationale Hilfe oder eine dramatische Veränderung der Sicherheitslage die wesentlichen Risiken, welche die NBU bewegen könnte, die Umsetzung dieser Strategie aufzuschieben oder zu stoppen. Dennoch ist der nun öffentlich angekündigte Plan, von der makroökonomischen Politik unter Kriegsbedingungen zur Vorkriegspolitik zurückzukehren, ein positiver Schritt für die Ukraine und ihre Partner.

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Bild: ©BrightSpace-stock.adobe.com