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Garry Poluschkin, Maria Repko, Robert Kirchner

Der ukrainische Bankensektor in Kriegszeiten

Der ukrainische Bankensektor hat sich im Krieg bewährt – nach dem Krieg werden einige Herausforderungen anstehen, die jedoch bewältigbar erscheinen.

  • Ukraine
NL 163 | Mai 2022
Finanzmärkte
Zusammenfassung

Russlands Invasion der Ukraine verursacht menschliches, soziales und wirtschaftliches Leid und Zerstörung. In dieser sehr schwierigen Lage senden weitsichtige Politikentscheidungen und allgemeine Widerstandsfähigkeit ermutigende Signale. Der ukrainische Bankensektor steht dafür beispielhaft. Trotz des Krieges unterstützt der Sektor die Wirtschaft und die Bevölkerung kontinuierlich mit Finanzdienstleistungen. Insbesondere waren keine Bank-Runs zu beobachten. Die Gründe sind vielfältig, hervorzuheben ist jedoch die umfassende Notstandsregulierung durch die Nationalbank (NBU). Dennoch zeichnen sich bereits jetzt Herausforderungen ab, beispielsweise durch das Aufkommen notleidender Kredite. Die derzeitige Notstandsregulierung ist essenziell in Kriegszeiten, sollte aber schrittweise abgebaut werden, sobald Frieden herrscht. Im Kontext dieser Herausforderungen sind die recht gute Verfassung des Sektors und die lehrreichen Erfahrungen aus 2014 zu betonen.

Aktuelle Lage

Russlands Angriffskrieg übt einen außerordentlichen Druck auf die Stabilität des ukrainischen Bankensektors aus. Dennoch setzen alle 69 Banken – zwei russische Banken wurden im Februar geschlossen – ihre Arbeit fort. Die Sichteinlagen in Hryvnia sind gestiegen, während die in Fremdwährung (FX) und Termineinlagen in Hryvnia relativ konstant blieben. Bisher fielen nur Termineinlagen in FX um 22% gegenüber Dezember 2021. Entscheidend ist aber, dass keine Bank-Runs zu beobachten sind.

Entwicklung der Kundeneinlagen

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Das Wachstum der Sichteinlagen in Hryvnia offenbart Vertrauen in die Landeswährung und den Sektor. Auf der Aktivseite ist das Nettovermögen des Sektors zwar im Vergleich zum Dezember 2021 um 4% gesunken, Unternehmens- und Privatkundenkredite in UAH sind mit einigen Wachstumstendenzen aber relativ stabil geblieben. Auch verzeichnet der Sektor finanzielle Verluste von 10 Mrd. UAH, die auf gestiegene Rückstellungen zurückzuführen sind.

Der Sektor zeigt seine Widerstandsfähigkeit

Dennoch wurde die finanzielle Stabilität bisher aufrechterhalten. Wir sehen hierfür drei wesentliche Gründe:

1) Wichtige Anti-Krisen-Sofortmaßnahmen: Mit Beginn der Invasion führte die NBU rasch neue Regeln unter Kriegsrecht für das Bankensystem und den Devisenmarkt ein. Dazu gehören die Umstellung auf einen festen Wechselkurs (Vorkriegskurs von 29,25 UAH/USD), vorübergehende Beschränkungen auf Bargeldabhebungen und monetäre Haushaltsfinanzierung über direkte Staatsanleihekäufe. Auch Kapitalverkehrskontrollen sind nach wie vor erforderlich, weil massive Exportrückgänge die Devisenzuflüsse einschränken. Da derzeit eine Finanzierungslücke von schätzungsweise 5 Mrd. USD pro Monat im Haushalt klafft, wird die monetären Finanzierung von internationalen Experten bisher grundsätzlich befürwortet, wenngleich über das Ausmaß diskutiert wird. Die NBU hat alle ihre Maßnahmen auf transparente Weise bekannt gegeben, was zur Stabilität des Sektors beiträgt.

2) Digitalisierung und Erfahrungen aus COVID: Vor Beginn der Invasion hat sich durch den dynamischen IT-Sektor die Nachfrage nach kontaktlosen Karten- und NFC-Zahlungen beschleunigt. Die NFC-Technologie über Apple Pay wurde beispielsweise von 44 Banken angeboten, neun mehr als in Polen, und sowohl kontaktlose Karten- als auch NFC-Zahlungen übertrafen 2021 andere Formen der Kartenzahlungen. Diese Dynamik wurde durch die COVID-Pandemie noch weiter beschleunigt. Dies hat zur Folge, dass Ukrainer, die nun gezwungen sind, das Land zu verlassen, weiterhin Bankzahlungen und -kommunikation digital fortsetzen können.

3) Das Erbe früherer Reformen: Die 2014 begonnenen Reformen im Sektor halbierte die Anzahl der Banken auf 71 im Dezember 2021 gegenüber Januar 2015. Damit ist der ukrainische Bankensektor zwar recht klein, jedoch gut kapitalisiert.

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Während die Nettoaktiva 2021 nur 38% des BIP betrugen (Polen: 97%), lag die Eigenkapitalquote im März 2021 bei 23% (Polen: 21%). Der starke Abbau der (immer noch hohen) notleidenden Kredite und der verstärkte Wettbewerb durch private Banken waren weitere Ergebnisse der Reformbemühungen. Ein rückläufiger Anteil der Deviseneinlagen eröffnete die Möglichkeit auf plötzliche Devisenabflüsse reagieren zu können. Schließlich wurden Aufsichtsgremien und kollegialen Entscheidungsprozesse in staatlichen Banken gestärkt. Alles in allem wurde die NBU als vertrauenswürdige unabhängige geldpolitische bzw. Regulierungsinstanz wahrgenommen.

Weitere Herausforderungen als verzögerter Schock

Selbst bei einem schnellen Kriegsende werden auf den Sektor und die NBU mehrere große Herausforderungen zukommen.

Monetäre Haushaltsfinanzierung und Kapitalverkehrskontrollen waren unvermeidliche Schritte, um den ersten Schock auf die Wirtschaft abzufedern, die sich aus dem Einbruch der Haushaltseinnahmen, dem Exportrückgang und dem Abfluss von Devisen ergaben. Mittel- bis langfristig birgt die monetäre Emission jedoch Inflationsrisiken, während Devisenkontrollen die Wirtschaft daran hindern, sich an ein neues Gleichgewicht anzupassen.

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Daher müssen fiskalpolitische Maßnahmen sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite ergriffen werden, um die Finanzierungslücke zu verringern. Sobald die Wirtschaft und der Außenhandel ein neues Gleichgewicht gefunden haben, sollten Beschränkungen schrittweise gelockert werden, zumindest in der Leistungsbilanz, während diejenigen in der Kapitalbilanz wahrscheinlich länger bestehen, bleiben müssen.

Die Verschlechterung der Portfolioqualität kann realistischerweise nur innerhalb von 3-6 Monaten nach Beginn eines nachhaltigen Waffenstillstandes bewertet werden. Die NBU plant schrittweise die Rückkehr zu einer makroprudenziellen Politik, was bedeutet, dass sich Banken mit Verlusten und Kapitalisierungsproblemen konfrontiert sehen werden. Dies sollte unter strenger Aufsicht geschehen. Umfangreiche Stresstests, wie nach 2014, werden erforderlich sein, um die tatsächliche Situation aufzudecken. Dann könnten Rekapitalisierungen, u.a. auch durch internationalen Finanzinstitutionen, eine weitere Form der Unterstützung sein.

Die Förderung der Neukreditvergabe wird eine weitere anspruchsvolle Aufgabe sein. Diese sollte die wirtschaftliche Erholung nach dem Krieg unterstützen, wird aber durch enorme Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit der geopolitischen Lage der Ukraine und dem de facto eingeschränkten Zugang zu externer Finanzierung behindert. Die Wiederbelebung der Kreditvergabe muss sich daher eng an der Struktur der ukrainischen Nachkriegswirtschaft orientieren, und in der ersten Phase wäre die Bereitstellung von Handelsfinanzierungen von größter Bedeutung. Neue Modelle für eine Risikoverteilung zwischen Geschäftsbanken, Regierung und IFI/Gebern könnten durch neue Instrumente (z.B. Garantien und internationale Versicherungssysteme) weiterentwickelt werden.

Schlussfolgerung

Der ukrainische Bankensektor hat sich in den Kriegszeiten bisher erstaunlich gut gehalten. Dies ist eine wichtige Errungenschaft, die die Wirtschaftstätigkeit und das Wohlergehen der Bevölkerung unterstützt, die weiterhin Zugang zu grundlegenden Bankdienstleistungen im In- und Ausland hat. Dennoch zeichnen sich bereits zahlreiche Herausforderungen ab, die den Sektor in den kommenden Jahren beeinflussen werden. Dazu gehören die allmähliche Aufhebung der NBU-Notfallregelungen und die Rückkehr zur Inflationssteuerung, sobald ein nachhaltiger Waffenstillstand herrscht. Da in der Vergangenheit bereits Erfahrung mit der schrittweisen Aufhebung von Devisenkontrollen gesammelt wurde, dürfte diese Herausforderung zu bewältigen sein. Die zu erwartenden Probleme auf der Aktivseite werden wahrscheinlich zusätzliches Eigenkapital erfordern. Da der Sektor relativ klein ist, dürfte dies aus makroökonomischer Sicht möglich sein, insbesondere wenn sich ausländische Partner beteiligen. Schließlich muss die Neukreditvergabe angekurbelt werden, um die wirtschaftliche Erholung und den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg zu unterstützen.

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Dieser Newsletter basiert auf dem Policy Paper The banking sector in times of war: current situation and challenges.