Das Unterseekabel-Projekt im Schwarzen Meer: Bericht aus Tiflis
Das Projekt für ein Unterseekabel im Schwarzen Meer ist derzeit ein wichtiges Diskussionsthema zwischen Georgien und seinen internationalen Partnern. Es würde die Möglichkeit bieten, Strom aus erneuerbaren Energiequellen aus dem Kaukasus in die Europäische Union zu exportieren. Die politische Unterstützung für das Projekt ist groß. Mit einer Länge von rund 1.200 km zwischen Georgien und Rumänien, größtenteils unter Wasser, ist das Projekt ambitioniert.
In den Diskussionen in Tiflis werden Bedenken hinsichtlich des Umfangs des Projekts, der physischen Anfälligkeit, der Baukosten und des Exportpotenzials Georgiens geäußert. Andererseits verweisen Befürworter auf die langfristigen Vorteile und ähnliche Vorschläge wie die Verbindungsleitung zwischen Australien und Singapur. Trotz der Vorbehalte sehen viele das Projekt auch aufgrund seines hohen symbolischen Wertes mit einer gewissen Hoffnung, da das Kabel eine direkte Verbindung zur EU schaffen würde.
Größtes Infrastrukturprojekt in Georgien
Es handelt sich um das größte Infrastrukturprojekt, das die georgische Regierung derzeit vorantreibt: das Unterseekabel-Projekt im Schwarzen Meer. Die Vision ist ehrgeizig. Das Kabel soll Georgien mit Rumänien verbinden, und zwar von Anaklia bis Constanța, was einer Länge von 1.195 km entspricht, davon 1.100 km unter Wasser. Das Kabel für die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) hätte eine Spannung von 500 kV und eine Kapazität von 1.000-1.500 MW. Die Idee ist, dass Energie aus dem Kaukasus und dem Kaspischen Meer in die Europäische Union exportiert werden könnte – mit besonderem Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien, aus Wasserkraft und anderen Quellen. Das Projekt würde auf diese Weise den Kaukasus und die kaspische Region viel enger mit Europa verbinden, vielleicht sogar integrieren, und im Idealfall auch Anreize für Investitionen in zusätzliche erneuerbare Energieerzeugung schaffen. Parallel dazu soll ein Glasfaserkabel verlegt werden, um die Internetverbindung zwischen dem Kaukasus und der EU zu stärken.
Die meisten sind sich einig, dass dies im Prinzip eine attraktive Vision ist. Daher steht das Schwarzmeer-Unterseekabelprojekt regelmäßig auf der Tagesordnung hochrangiger Besuche, so auch beim jüngsten Treffen des georgischen Wirtschaftsministers Levan Davitashvili mit dem Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Sven Giegold. An dem Projekt sind neben Georgien und Rumänien auch Aserbaidschan und Ungarn beteiligt. Die Europäische Union unterstützt das Projekt ebenfalls. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, sagte bei der Unterzeichnung einer Absichtserklärung im Dezember 2022: „[Es] knüpfen sich viele Hoffnungen an das Projekt. Jetzt ist es an uns, die Sicherheit der Energieversorgung und die Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften zu gewährleisten.“
Erwägungen zur Vorsicht
In den Gesprächen in Tiflis sind die Meinungen über das Projekt nach wie vor geteilt. Einige finden das Ausmaß des Projekts abschreckend. Derzeit ist kein Unterseekabel dieser Länge in Betrieb. Das längste bestehende Kabel, North Sea Link, mit einer ungefähr vergleichbaren Kapazität, verbindet Norwegen und Großbritannien auf einer Länge von 750 km. (Das zweitlängste Kabel führt von Norwegen in die Niederlande.) Die Länge des Kabels bringt gewisse Übertragungsverluste mit sich, wobei North Sea Link gegenwärtig etwa 3,4% verliert.
Ein größeres Problem ist die physische Anfälligkeit eines solchen Projekts. Das Kabel würde weniger als 150 km von der südlichsten Spitze der Krim entfernt verlaufen, die derzeit von den russischen Streitkräften besetzt ist. Das Kabel liegt somit in Reichweite der russischen Marine, auch von Noworossijsk aus, das sich auf souveränem russischem Gebiet befindet. Die Sabotage von Nord Stream im September 2022 hat deutlich gemacht, dass milliardenschwere Infrastrukturprojekte durchaus Ziele darstellen können. Analysten im Baltikum haben darauf hingewiesen, dass Russland eine Reihe von Spezialunterseevehikeln entwickelt hat, die auch eine Gefahr für die Ostseekabel darstellen könnten. Brancheninsider weisen darauf hin, dass solche Bedrohungen die Versicherung des Projekts erschweren, insbesondere zu einem Preis, der für den kommerziellen Betrieb des Kabels tragfähig bleibt. Ohne Versicherung wiederum werden nur wenige internationale Investoren bereit sein, Mittel bereitzustellen.
Neben diesen geopolitischen Risiken stellt der Bau des Schwarzmeer-Unterseekabelprojekts eine große Herausforderung dar. Das Schwarze Meer ist im Durchschnitt mehr als 1000 Meter tief. Wie die im Februar 2023 an einen georgischen Strand gespülte und am Ufer explodierende Seemine gezeigt hat, kann es Überraschungen bergen. Auf einer Länge von etwa 700 km würde das Unterseekabel in etwa 2.000 m unter dem Meeresspiegel verlaufen – eine zusätzliche Herausforderung, falls Reparaturen erforderlich sind. Es gibt somit viele Herausforderungen bei der Umsetzung des Projektes. Einige Beobachter argumentieren, dass der Bau des Kabels mehr als die derzeit geschätzten 2,3 Mrd. EUR kosten wird. North Sea Link, das planmäßig 2021 fertiggestellt wurde und deutlich kürzer ist, kostete insgesamt 2 Mrd. EUR und mehr als ursprünglich veranschlagt. Vertreter internationaler Finanzinstitutionen sagen, dass es erste Gespräche über mögliche Beteiligungen gegeben habe. Es ist aber noch viel zu tun, um die erforderlichen Mittel zu mobilisieren.
Die Diskussion über das Kabel steht im Zusammenhang mit der Entwicklung des gesamten Energiesektors. Wird die Region bis Anfang der 2030er Jahre, dem geplanten Zeitpunkt der Fertigstellung, über genügend Energie für den Export verfügen? Zumindest in Georgien hat man daran Zweifel. Es wird davon ausgegangen, dass der inländische Energieverbrauch schneller wachsen wird als die prognostizierte Stromerzeugung. In der Praxis sagen Unternehmer in diesem Sektor, dass es schwierig sein kann, Projekte voranzubringen. Einige größere Projekte liegen auf Eis, teilweise nach Widerstand der Bevölkerung vor Ort. Die Regierung hat zwar betont, dass sie sehr daran interessiert ist, dass mehr Kraftwerke ans Netz gehen. Man wartet aber immer noch darauf, dass sich der Ausbau des Sektors beschleunigt.
Betonung des langfristigen Nutzens
Befürworter des Projekts weisen darauf hin, dass das Schwarzmeer-Unterseekabel nur eines von mehreren Großprojekten in der Welt ist. So wird beispielsweise über eine Verbindungsleitung zwischen Australien und Singapur (SunCable-Projekt) diskutiert, um erneuerbare Energien, insbesondere Solar- und Windenergie, zu exportieren. Künftige australische Überschüsse an erneuerbaren Energien könnten den südostasiatischen Strombedarf decken, der derzeit hauptsächlich aus Kohle gespeist wird. Das 3.200 km lange Projekt wäre mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, aber seine Befürworter betonen, dass diese durch die langfristigen Vorteile in den Schatten gestellt werden. (Das SunCable-Projekt wird derzeit umstrukturiert, nachdem sich zwei wesentliche Investoren zerstritten haben).
Die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie des italienischen Beratungsunternehmens CESI werden im Laufe des Jahres 2023 oder möglicherweise im ersten Quartal 2024 erwartet. In Anbetracht des Umfangs der Investitionen haben Vertreter der Wirtschaft vorgeschlagen, eine umfassendere öffentliche Diskussion zu führen, um die Risiken und Vorteile eines derart umfangreichen Engagements abzuwägen. Zu den diskutierten Alternativen gehören größere Investitionen in die Übertragungsleitungen in die Türkei als unmittelbarer Exportmarkt und schließlich als Teil der Integration in das synchronisierte europäische Verbundsystem
Hoher symbolischer Wert und Ausblick
Trotz der Vorbehalte sehen viele in Georgien das Schwarzmeer-Unterseekabelprojekt mit einer gewissen Hoffnung. In Ermangelung einer direkten Landgrenze würde das Kabel eine Verbindung zur EU darstellen. Damit hat das Projekt einen hohen symbolischen Wert. Nach Ansicht von Brancheninsidern soll man darauf achten, ob die georgische Regierung eine Kommission einberuft, um das Projekt voranzutreiben. Zum jetzigen Zeitpunkt wird das Projekt in Georgien hauptsächlich vom Georgian State Electrosystem (GSE), dem Netzbetreiber des Landes, geleitet. Wenn eine Kommission einberufen würde, wäre dies ein klares Zeichen dafür, dass Georgien umfassend für das Projekt mobilisiert.
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