Beachtliches Wirtschaftswachstum durch Zuwanderung aus Russland
Die armenische Wirtschaft hat sich 2022 sehr positiv entwickelt. Das reale BIP wuchs um 12,6% und der armenische Dram wertete ggü. dem US-Dollar um 18,5% auf. Infolgedessen stieg das Pro-Kopf-Einkommen von ca. 4.700 USD in 2021 auf ca. 6.600 USD in 2022 an, das heißt um 40% in nur einem Jahr.
Diese beeindruckende Entwicklung hängt in erster Linie mit Ereignissen in Russland und insbesondere der Zuwanderung russischer Bürger nach Armenien zusammen, was primär den inländischen Konsum ankurbelte. Neben diesem kurzfristigen positiven Schock bietet die Zuwanderung russischer IT-Spezialisten die Möglichkeit, den armenischen IT-Sektor zu stärken.
Allerdings birgt der Zustrom auch Risiken. Sollten viele der zugewanderten Menschen das Land kurzfristig verlassen, würde Armenien einen starken negativen wirtschaftlichen Schock erleiden. Daher sollte die Regierung die Situation genau beobachten und versuchen, den russischen Migranten die Integration möglichst zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund hat das German Economic Team in Zusammenarbeit mit CRRC Armenia eine Umfrage unter den zugezogenen Menschen aus Russland durchgeführt.
Außergewöhnliches Wachstum und Aufwertung
Im Jahr 2022 erlebte die armenische Wirtschaft einige außergewöhnliche wirtschaftliche Entwicklungen. Zum einen wuchs das reale BIP um 12,6%; dies ist das erste zweistellige Wachstum seit 15 Jahren. Gleichzeitig erfuhr der armenische Dram eine deutliche Aufwertung von ca. 18,5% ggü. dem US-Dollar. Infolgedessen stieg das Pro-Kopf-Einkommen von 4.679 USD auf 6.569 USD – ein Zuwachs von 40%. Dies ist eine beeindruckende Entwicklung, welche unter normalen Umständen mehr als fünf Jahre in Anspruch genommen hätte.
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Wie konnte es innerhalb nur eines Jahres zu diesen einzigartigen Entwicklungen kommen? Obwohl es sicherlich nicht der einzige Grund war, können diese Entwicklungen eng mit Ereignissen in Russland in Verbindung gebracht werden.
Zustrom von Migranten kurbelte den Konsum an
Nach Anfang des Krieges in der Ukraine verließen viele Menschen Russland aus verschiedenen Gründen. Dieser Trend beschleunigte sich nach Beginn der Mobilisierung im September 2022 noch weiter. Armenien war eines der vielen Ziele dieser Migrationsströme. Nach unseren Berechnungen belief sich der Bestand russischer Staatsbürger, die nach Beginn des Krieges nach Armenien kamen, im November 2022 auf etwa 55.000 Personen. Dies entspricht 1,8% der armenischen Bevölkerung.
Die zugewanderten Russen haben den inländischen Konsum erheblich angekurbelt und somit zum Wachstum des Dienstleistungssektors und des BIP beigetragen. Wir schätzen, dass sich die zusätzlichen Konsumausgaben der zugewanderten Haushalte in 2022 auf 372 Mio. USD oder 2,0 % des BIP beliefen. Bleibt der Bestand der zugewanderten Menschen im Jahr 2023 konstant, könnte der Konsum russischer Zuwanderer 533 Mio. USD oder 2,6% des BIP betragen.
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Starke Aufwertung des armenischen Drams
Der erhebliche Zustrom von Menschen aus Russland war auch einer der Hauptgründe für die starke Aufwertung des Drams. Höhere Dienstleistungsexporte und beträchtliche Zuflüsse von persönlichen Transfers sowie starke Tourismuseinnahmen waren die wichtigsten Treiber der Aufwertung. Infolgedessen wertete der Dram ggü. dem US-Dollar in der ersten Hälfte 2022 um 15,7% auf, gefolgt von einer moderateren Aufwertung von 3,5% in der zweiten Jahreshälfte.
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Die Aufwertung hat nicht nur das nominale BIP in US-Dollar gestärkt, sondern auch dazu beigetragen die Inflation unter Kontrolle zu halten (Januar 2023: 8,1%) und die Staatsverschuldung in Richtung ihres Schwellenwerts (2022: 51,3% des BIP) zu bringen. Sie führte jedoch auch zu Problemen für einige exportorientierte Sektoren (z.B. IT), die auf Einnahmen in US-Dollar angewiesen sind und ihre Löhne in lokaler Währung zahlen.
Befragung der zugezogenen Menschen aus Russland
Der Zustrom von Menschen aus Russland hatte 2022 einen positiven Einfluss auf die armenische Wirtschaft. Dieser positive Schock könnte jedoch schnell ins Negative umschlagen, wenn die zugewanderten Menschen beschließen das Land kurzfristig zu verlassen. Daher ist es wichtig ein besseres Verständnis für die Zusammensetzung und die Zukunftspläne der Zugewanderten zu bekommen. Vor diesem Hintergrund hat CRRC Armenia im Auftrag des German Economic Teams eine Umfrage unter 500 russischen Staatsbürgern durchgeführt, die nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine nach Armenien gekommen sind.
Bei den zugezogenen Menschen handelt es sich überwiegend um junge und hochqualifizierte Fachkräfte, die vor allem im IT-Sektor arbeiten. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines zugezogenen Haushalts liegt bei ca. 3.100 USD, während die monatlichen Ausgaben sich auf etwa 1.600 USD belaufen. Auf die Frage, wie lange sie planen sich in Armenien aufzuhalten, antworteten 45% der Befragten, dass sie länger als ein Jahr bleiben wollen. Bemerkenswert ist, dass 34% nicht vorhaben nach Russland zurückzukehren. Darüber hinaus würden 27% Armenien überhaupt nicht verlassen, während 30% sich vorstellen könnten, in die EU umzuziehen, sofern sie kurzfristig die Chance dazu bekämen.
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Abgesehen von Problemen bei der Wohnungssuche und der Eröffnung eines Bankkontos wurden in den Interviews keine größeren Probleme genannt. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein erheblicher Teil der zugezogenen Personen plant, zumindest bis 2023 in Armenien zu bleiben. Dies könnte als Chance genutzt werden, um sie weiter in den heimischen Arbeitsmarkt zu integrieren. Insbesondere die Erschließung des Potenzials der umgesiedelten IT-Talente sollte ein Schwerpunkt der Politik sein.
Ausblick und politische Handlungsempfehlungen
Die außergewöhnlichen wirtschaftlichen Entwicklungen 2022 waren mit den Ereignissen in Russland verbunden. Der größte Teil des positiven Schocks ist jedoch bereits im vergangenen Jahr eingetreten. Daher ist zu erwarten, dass sich das Wirtschaftswachstum im Jahr 2023 auf sein Potenzial von 4 bis 5% verlangsamen wird.
Die Zuwanderung von Menschen aus Russland bietet zwar Chancen, wie etwa die Stärkung des lokalen IT-Sektors, birgt aber auch ein großes Risiko. Sollten sich die Mehrzahl der zugezogenen Menschen entschließen, Armenien kurzfristig zu verlassen, wird das Land einen negativen wirtschaftlichen Schock erleben, der ähnlich stark sein wird wie der positive Schock im Jahr 2022. Daher sollte es im Interesse der Regierung sein, diese Menschen in den lokalen Arbeitsmarkt zu integrieren oder zumindest dafür zu sorgen, dass sie nicht mit größeren Problemen konfrontiert werden.
Um das mit dem Zustrom ausländischer IT-Talente verbundene Potenzial zu erschließen, sollten bedarfsorientierte Betreuungs- und Vermittlungsdienste Schlüsselelemente der politischen Maßnahmen sein. Aufbauend auf bestehenden Strukturen (z.B. der Union of Advanced Technology Enterprises oder Enterprise Armenia) sollten die Onboarding-Dienste ausgeweitet und die Bandbreite der Vermittlungsformate erweitert werden, um die zugezogenen IT-Talente mit der lokalen IT-Szene zu vernetzen. In einer späteren Phase könnten spezialisierte Technologieparks auf der Grundlage gründlicher Machbarkeitsstudien geschaffen werden.
Dieser Newsletter basiert auf der 9. Ausgabe des Wirtschaftsausblicks Armenien und der zu erscheinenden Policy Study: “Relocation of people from Russia to Armenia: results of 2nd survey and up-date of economic implications”.