Auswirkungen des Krieges auf die Länder der Region sehr heterogen
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine befasst sich das German Economic Team mit den wirtschaftlichen Folgen für die Länder der Region. Dabei wurden insbesondere drei Wirkungskanäle identifiziert: Steigende Energiepreise, die Schwächung der russischen Wirtschaft und signifikante Migrationsbewegungen aus der Ukraine, aber auch aus Russland heraus.
Eine Analyse der Auswirkungen dieser drei Schocks auf Moldau, Georgien und Armenien zeigt, dass sich die wirtschaftlichen Folgen für diese Ländern stark unterscheiden: Während Moldau besonders stark negativ betroffen ist, sind die negativen Auswirkungen auf Georgien und Armenien eher gering. Im Gegenteil, Armenien und insbesondere Georgien profitieren sogar vom Zuzug von Fachkräften aus Russland; Armeniens Exporte nach Russland sind – trotz einer Schwächung der russischen Wirtschaft – deutlich angestiegen.
Drei Schocks im Zusammenhang mit dem Krieg
Die russische Invasion der Ukraine und die in der Folge verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben weitreichende Implikationen für die gesamte GUS-Region. In diesem Newsletter fokussieren wir uns auf die Implikationen für Moldau, Georgien und Armenien. Alle drei Länder unterhalten weiterhin enge Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, sodass der Krieg und die Sanktionen potenziell stark negative Auswirkungen entfalten könnten. In verschiedenen Untersuchungen haben wir drei Schocks identifiziert und analysiert: 1) Anstieg der Energiepreise, 2) allgemeine Schwächung der russischen Wirtschaft und 3) Migrationsbewegungen. Diese drei Schocks wirken jedoch nicht symmetrisch, sondern haben deutliche länderspezifische Unterschiede. Diese werden nach einer genaueren Beschreibung der einzelnen Schocks im Folgenden näher betrachtet.
Energiepreise
Der globale Anstieg der Energiepreise, welcher bereits Mitte 2021 begann, wurde mit Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich verschärft. Da der durchschnittliche Energieverbrauch der privaten Haushalte, aber auch der Unternehmen, in der GUS-Region vergleichsweise hoch ist (u.a. aufgrund mangelnder Energieeffizienz), birgt ein Preisanstieg signifikante Risiken. In erster Linie hat dies negative Auswirkungen auf die Konsumausgaben, da ein höherer Teil des Einkommens für Energie ausgegeben werden muss. Darüber hinaus sind oft staatliche Unterstützungsmaßnahmen nötig, um den Schock der höheren Energiepreise abzumildern; dies zehrt an den öffentlichen Finanzen und erlaubt weniger staatliche Ausgaben für andere Bereiche wie Infrastruktur und Bildung. Allerdings haben einige Länder langfristige Gasverträge zu festen Preisen. Außerdem ist der Preis für russisches Öl („Urals“) viel weniger gestiegen als für Brent und liegt mittlerweile sogar unterhalb des Niveaus vor Beginn des Kriegs. Für Länder, die ausschließlich Urals importieren, würde an diese Stelle also kein negativer Schock bestehen.
Schwächung der russischen Wirtschaft
Die Kosten für den Krieg in der Ukraine und die internationalen Sanktionen gegen Russland stellen eine erhebliche Belastung für die russische Wirtschaft dar. Der reale BIP-Rückgang 2022 könnte bis zu 6% betragen. Russland stellt für die Region einen wichtigen Handelspartner dar. Durch die Wirtschaftskrise sinkt das Einkommen in Russland, was einen Rückgang der Importe nach sich ziehen könnte. Für Georgien und Armenien ist auch das Risiko sinkender Tourismuseinnahmen aus Russland zu betrachten, was wiederum mit dem sinkenden Einkommen der russischen Bevölkerung verbunden ist. Andererseits sind die Exporte westlicher Staaten nach Russland deutlich gefallen. Neben Zahlungsschwierigkeiten spielen hier die Sanktionen und Reputationsrisiken eine Rolle. Die dadurch entstehende Lücke könnte in einigen Fällen durch Exporte der GUS-Staaten kompensiert werden.
Migrationsbewegungen
Kriegsbedingt haben (netto) über 6 Mio. Menschen die Ukraine verlassen, einige davon sind in die Länder der Region geflüchtet. Die Versorgung und Unterstützung der Geflüchteten haben höhere Staatsausgaben und damit eine Ausweitung des Defizits bzw. der Verschuldung zur Folge. Jedoch finden im Kontext des Krieges auch andere Migrationsbewegungen statt. So haben auch viele Menschen aus Russland und Belarus ihre Heimatländer verlassen. In der Regel handelt es sich hier um hochqualifizierte, junge Fachkräfte mit hohem Einkommen. Der Zuzug dieser Personen könnte sich fördernd auf die Konsumnachfrage auswirken, sodass auch ein positiver Schock denkbar ist.
Moldau: Negative Wirkung aller Schocks
Moldau war durch die hohe Abhängigkeit von russischem Gas zur Erzeugung sowohl von Wärme als auch von Strom bereits vor Beginn des Krieges in einer sehr ungünstigen Ausgangslage. Seit Oktober 2021 besteht ein neuer Liefervertrag mit Russland, der sich an den internationalen Gaspreisen orientiert. Dadurch haben sich die Importkosten deutlich erhöht. Diese haben dazu geführt, dass der Gasverbrauch privater Haushalte während der Heizperiode subventioniert werden musste, was den Staatshaushalt stark belastet hat. Bei den Warenexporten nach Russland kommt es außerdem zu großen logistischen Herausforderungen. Zwar fällt der Rückgang insgesamt bisher geringer aus als erwartet, ist aber für einzelne Produkte wie Äpfel und Medikamente durchaus signifikant. Als direktes Nachbarland der Ukraine hat Moldau eine große Anzahl von Geflüchteten aufgenommen, teilweise auf der Durchreise nach Westeuropa. Insgesamt kamen über 500.000 Geflüchtete nach Moldau, bei einer Bevölkerung von ca. 2,6 Mio. Aktuell befinden sich ca. 75.000 Geflüchtete im Land.
Moldau ist somit von allen drei Schocks stark getroffen. Das Land erlebt eine Stagflation mit einem rasanten Anstieg der Inflation (Aug-22: 34,3%) bei einem erwarteten realen BIP-Rückgang von 0,4%. Die Fiskallage ist schwierig, da die Energiesubventionen und Ausgaben für Geflüchtete den Haushalt belasten.
Georgien: Positive Schocks überwiegen
Ganz anders stellt sich die Lage in Georgien dar. Gas wird im Rahmen eines langfristigen Vertrags von Aserbaidschan bezogen, sodass die negativen Auswirkungen gering sind. Eine Herausforderung stellen die höheren Ölpreise (Zusatzausgaben von ca. 2,1% des BIP) dar. Auch erwiesen sich, nach anfänglichen Schwierigkeiten, die Warenexporte nach Russland bisher als stabil. Insbesondere wichtige Exportgüter wie Wein haben nach Anpassungsschwierigkeiten in den ersten Monaten des Krieges das Niveau von 2021 bisher halten können. Geflüchtete aus der Ukraine sind bisher in Georgien kaum angekommen. Stattdessen hat das Land den Zuzug von ca. 45.000 Fachkräften aus Russland und Belarus (Stand: Ende Mai) erlebt. Diese sind größtenteils gut ausgebildet und verfügen über ein hohes Einkommen, sodass sie durch höhere Konsumausgaben einen positiven Schock für die georgische Wirtschaft in Höhe von 1,8% des BIP darstellen. In der Folge wurden die Wachstumsprognosen für das reale BIP auf aktuell 9% nach oben korrigiert. Auch die starke Aufwertung des Lari ist auf den Zuzug und damit einhergehende Geldzuflüsse zurückzuführen. Die Inflation ist zwar hoch, aber bisher, auch dank der stabilen Gaspreise, unter Kontrolle. Auf den georgischen Haushalt hat der Krieg keine Auswirkungen. Insgesamt kann man daher im Fall von Georgien von positiven Schocks durch den Krieg in der Ukraine sprechen.
Armenien: Positive Auswirkungen der Schocks
Armenien weist durch die engen wirtschaftlichen Verflechtungen insgesamt ein hohes Exposure gegenüber Russland auf. Nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – wirkten sich die einzelnen Schocks bisher größtenteils positiv aus.
Das Land ist bisher kaum von den global gestiegenen Energiepreisen betroffen. Zum einen bestehen für Gas langfristige Lieferverträge, zum anderen kauft Armenien das relativ günstige Urals-Öl. Auch die Exporte nach Russland haben sich bisher – entgegen anfänglichen Erwartungen – stark positiv entwickelt (7M2022: +70%). Neben hohen Rohstoffpreisen und der Substitution westlicher Exporte nach Russland spielen hier auch Re-Exporte (z.B. Autos) eine wichtige Rolle. Außerdem profitiert auch Armenien von einem Zustrom von ca. 24.000 Fachkräften aus Russland (Stand: Ende Mai), was sich in einer zusätzlichen Konsumnachfrage in Höhe von ca. 1,2% des BIP widerspiegelt. Auch der Tourismus aus Russland ist deutlich gestiegen.
Die BIP-Prognosen mussten bereits mehrmals angepasst werden: Nach einer anfänglich negativen Korrektur wurden die Zahlen mehrmals nach oben korrigiert. Auch wenn sich der jüngste Konflikt mit Aserbaidschan negativ auswirken könnte, ist ein zweistelliges Wachstum immer noch möglich. Das Haushaltsdefizit für 2022 wird bei 2,1% des BIP erwartet, da die gute wirtschaftliche Lage eine Haushaltskonsolidierung ermöglicht.
Schlussfolgerung und Ausblick
Der Vergleich zwischen Moldau, Georgien und Armenien zeigt, dass die regionalen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sehr unterschiedlich sind. Während Moldau sowohl von den hohen Energiepreisen, der schwächeren russischen Wirtschaft und den Migrationsbewegungen stark negativ betroffen ist, sind ähnliche Auswirkungen auf Georgien und Armenien kaum zu spüren. Im Gegenteil profitieren beide Länder sogar von der Substitution westlicher Exporte nach Russland und insbesondere dem Zustrom von hochqualifizierten Arbeitskräften mit hohem Einkommen. Daraus ergibt sich für Moldau eine sehr schwierige wirtschaftliche Lage, während die Auswirkungen für Georgien eher positiv und für Armenien sogar deutlich positiv sind.
Dieser Newsletter basiert auf der Policy Study: Economic outlook in Moldova, Georgia and Armenia in the context of the war in Ukraine: regional comparison