Armeniens grenzüberschreitende Stromleitungen: Pläne und Chancen
Was grenzüberschreitende Stromleitungen betrifft, ist Armenien relativ isoliert. Derzeit verfügt das Land nur über aktive Verbindungen zu Georgien und zum Iran. Beide haben im regionalen Vergleich jedoch eine eher begrenzte Kapazität. Dabei sind starke grenzüberschreitende Verbindungen für ein funktionales armenisches Stromnetz zentral, insbesondere da die rasche Ausweitung der variablen Solarstromerzeugung Herausforderungen für die Netzstabilität mit sich bringt. Zudem stärken solche Leitungen die Energiesicherheit und eröffnen zusätzliche Möglichkeiten für den Stromhandel. Aktuell ist Letzterer durch das Tauschhandelsabkommen mit dem Iran dominiert. Im geringeren Ausmaß findet auch ein saisonaler Stromhandel mit Georgien statt. Ein direkter Handel mit der Türkei würde erhebliches Potenzial bieten, bleibt aber von politischen Entwicklungen abhängig. Dagegen stellt der seit langem geplante, jedoch verzögerte Ausbau der Verbindung zu Georgien die vielversprechendste Option für Armenien dar, die regionale Integration und den Handel mittelfristig zu fördern.
Hintergrund
Armeniens Stromerzeugung stützt sich stark auf thermische und nukleare Kraftwerke, die beide auf importierte Brennstoffe angewiesen sind. In den vergangenen Jahren wurde die Solarstromkapazität deutlich ausgeweitet – was sowohl die grüne Transformation als auch die Energiesicherheit unterstützt, indem die Importabhängigkeit verringert wird. Allerdings bringt die variable Einspeisung von Solarstrom Herausforderungen für die Integration ins System mit sich. Starke grenzüberschreitende Stromleitungen kombiniert mit Energiespeichern sind entscheidend, um diese Probleme zu bewältigen. Sie ermöglichen den grenzüberschreitenden Ausgleich von Angebot und Nachfrage und erhöhen so die Flexibilität des Systems. Auf diese Weise kann auch der Bedarf an umfangreichen und teuren Speicherkapazitäten begrenzt werden (siehe GET-Studie). Insbesondere eröffnet eine verbesserte Vernetzung mit den Nachbarländern auch neue Exportmöglichkeiten, wodurch Armenien überschüssige erneuerbare Energie monetarisieren und vermeidbare Einspeisungsbeschränkungen verhindern könnte. Schließlich ist eine bessere regionale Stromanbindung auch für die Energiesicherheit Armeniens unerlässlich, da sie im Falle von Engpässen einen verlässlicheren Zugang zu Stromimporten ermöglicht.
Begrenzte bestehende Verbindungen
Derzeit ist Armenien in der Region relativ isoliert und verfügt nur über zwei aktive Stromverbindungen zu Georgien und Iran. Die früher existierenden Leitungen zur Türkei und Aserbaidschan sind aus politischen Gründen inaktiv. Mit 150 MW bzw. 350 MW sind die derzeit aktiven Leitungen im regionalen Vergleich auch eher gering. Darüber hinaus ist die Verbindung zu Georgien asynchron, was beim Handel eine vorübergehende Trennung vom Netz und den Betrieb im sogenannten isolierten Modus erfordert, wodurch die Verbindung für einen flexiblen oder kurzfristigen Handel ungünstig ist.
Regionale Übertragunskapazität, 2024 und 2034
Quelle: eigene Darstellung auf Basis von GSE „TYNDP (2024–2034)“, USAID[1].
Hinweis: Position der Leitungen nur indikativ. Durchgezogene Linie: 2024; gestrichelte Linie: Plan für 2034
Geringe Diversifizierung im Stromhandel
Armeniens Stromhandel ist wenig diversifiziert und eher durch strukturelle und geopolitische Beschränkungen als durch Marktdynamiken geprägt.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Datawrapper zu laden.
Insgesamt ist der Handel hauptsächlich durch Exporte in den Iran im Rahmen eines langjährigen Gas-gegen-Strom-Tauschabkommens dominiert, welches jährlich rund 1,1 TWh ausmacht. Der Stromhandel mit Georgien, Armeniens einzigem konventionellem Partner, spielt eine geringere Rolle. Da mehr als 70% der Kapazität Georgiens auf Wasserkraft basieren, werden die Stromflüsse von der saisonalen Wasserverfügbarkeit beeinflusst. Armenien exportiert im Winter Strom nach Georgien, wenn die Wasserkraftproduktion gering ist, und importiert im Sommer georgischen Strom aus Wasserkraftüberschüssen. In den Jahren 2022-2023 führten außergewöhnlich hohe Strompreise in der Türkei zu zusätzlichen Stromflüssen von Armenien nach Georgien, von wo aus dieser auf den türkischen Markt exportiert wurde. Armenien profitierte zwar von den höheren Exportmengen, konnte jedoch aufgrund der indirekten Handelsstruktur nur teilweise vom Preisvorteil profitieren.
Pläne zum Ausbau der Verbindungsleitungen
Vor diesem Hintergrund ist der Ausbau der Stromleitungen zu den Nachbarländern für Armenien essenziell.
Iran: Stärkung der Verbindung für den Tauschhandel
Derzeit wird eine umfassende Modernisierung der Verbindungsleitung zum Iran durchgeführt, wodurch die Kapazität von 350 MW auf 1.200 MW erhöht werden soll. Da Armenien über den Tauschhandel hinaus keinen Strom mit dem Iran handelt, kann es sich in Bedarfsfall nicht auf Importe aus dem Iran verlassen und auch keinen Strom exportieren, der nicht aus iranischem Gas erzeugt wird. Der geplante Ausbau unterstützt daher die Umsetzung und mögliche Erweiterung des Gas-gegen-Strom-Tauschabkommens, trägt jedoch nicht zur Verbesserung der Energiesicherheit Armeniens oder zur Integration erneuerbarer Energien bei.
Türkei: Politische Hürden, aber langfristiges Potenzial
Der direkte Stromhandel mit der Türkei wäre für Armenien die vielversprechendste Option zur Integration erneuerbarer Energien und für zusätzliche Exportmöglichkeiten, sofern die politischen Bedingungen es zulassen. Mit einer Spitzenlast von 58 GW in 2024 bietet das türkische Stromnetz eine verlässliche Abnahme für armenische Solarstromexporte, sowohl wegen der konstant hohen Nachfrage als auch der Fähigkeit, die vergleichsweise geringen Mengen aufzunehmen. Neben diesen technischen Vorteilen ist die Türkei aufgrund der höheren Strompreise der attraktivste Markt in der Region. Der direkte Handel hängt jedoch von einer politischen Vereinbarung der beiden Länder ab. Selbst dann würde die Reaktivierung der Verbindung zwischen den asynchronen Netzen Zeit und Investitionen erfordern.
Georgien: Mittelfristig vielversprechendste Option
Eine Erweiterung der Verbindung mit Georgien von 150 MW auf 350 MW, einschließlich einer Back-to-Back-Station, ist seit Jahren geplant, verzögert sich jedoch weiterhin. Diese würde einen effizienteren Stromhandel zwischen den asynchronen Netzen ermöglichen. Für Georgien ist der Ausbau der Verbindung weniger kritisch, da das Land bereits gut vernetzt ist und aktiv mit allen Nachbarn handelt, mit Importen hauptsächlich aus Russland und Exporten in die Türkei. Dennoch würde eine stärkere Verbindung mit Armenien auch Georgien zugutekommen, da eine weitere Diversifizierung die Energiesicherheit verbessern würde. Dies ist besonders relevant, da Georgiens starke Abhängigkeit von Wasserkraft das Land anfällig für Klimarisiken wie Dürren macht. Grenzüberschreitende Stromflüsse sind daher entscheidend, um etwaige Versorgungsengpässe zu bewältigen. Darüber hinaus könnte Armeniens rascher Ausbau des Solarstroms – mit typischerweise geringeren Erzeugungskosten als Wasserkraft – für Georgien kostengünstige Importmöglichkeiten aus Armenien darstellen. Dies wird insbesondere relevant, sollte Georgien beim geplanten Wasserkraftausbau weiterhin auf Schwierigkeiten stoßen. Mittelfristig stellt der Ausbau der Leitung daher für beide Seiten eine vorteilhafte Möglichkeit für den regionalen Stromhandel dar.
Ausblick und politische Implikationen
Angesichts des wachsenden Bedarfs Armeniens an diversifizierten Stromhandelspartnern muss eine stärkere regionale Infrastrukturintegration eine Priorität bleiben. Da der Handel mit dem Iran auf das Tauschhandelsabkommen beschränkt ist und direkter Handel mit der Türkei in naher Zukunft unwahrscheinlich ist, sollte Armenien sich auf den Ausbau seiner Verbindungskapazitäten mit Georgien konzentrieren, indem es das verzögerte Erweiterungsprojekt aktiv vorantreibt. Über die Infrastruktur hinaus erfordert die Erschließung des künftigen Handelspotenzials auch regulatorische Maßnahmen – insbesondere für eine bessere Integration von Solarstrom in das inländische System und den grenzüberschreitenden Handel. Dies umfasst die Liberalisierung des Ausgleichsmarktes, sowie die Angleichung der Handelsvorschriften und die Gewährleistung interoperabler Strommärkte, um den grenzüberschreitenden Stromhandel zu erleichtern.
Dieser Newsletter basiert teilweise auf der Policy Study Electricity trade between Armenia and Georgia: current situation and future developments.
[1] USAID. (2024). Renewable energy sources grid integration and flexibility study. Prepared by Tetra Tech ES, Inc. for USAID.