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Pavel Bilek

Armeniens Energiesektor: Entwicklungen und Ausblick

Armeniens Energiesektor ist traditionell durch eine hohe Importabhängigkeit gekennzeichnet, insbesondere bei Erdgas und Kernbrennstoffen aus Russland. Dank eines langfristigen Vertrags mit Gazprom hat das Land keine nennenswerten Auswirkungen der weltweiten Volatilität der Energieträger und der hohen Energiepreise zu spüren bekommen.

  • Armenien
NL 06 | Juli - August 2022
Energie und Klima

Dennoch verfolgt die armenische Regierung einen ehrgeizigen Kurs für den groß angelegten Ausbau erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz, um die Importabhängigkeit zu verringern, die Kosten zu senken, die Emissionen zu reduzieren und das Stromexportpotenzial zu verbessern. Vorrang hat dabei die Solarenergie, welche bereits großumfänglich produziert wird. Bei der Energieeinsparung und -effizienz zielt die Regierung auf die Bereiche Wohngebäude, öffentliche Schulen und Verkehr ab.

Insgesamt sind erhebliche Anstrengungen erforderlich, um bestehende Kraftwerke zu sanieren, neue Energiequellen hinzuzufügen und die Übertragungskapazität auszubauen.

Überblick über den Energiesektor

Armeniens Energiesektor wird hauptsächlich durch Erdgas, ein veraltetes Kernkraftwerk und Wasserkraft angetrieben, wobei Erdgas der wichtigste Energieträger im gesamten Endverbrauch ist. Da es keine inländische Kohlenwasserstoffproduktion und keine Raffinerien gibt, ist der armenische Energiemix in hohem Maße von der Einfuhr von Erdgas und Erdölprodukten abhängig.

Mit dem Iran besteht ein Abkommen über den Tausch von Gas gegen Strom (3 kWh für 1 m³ Gas). Armenien importiert iranisches Gas und exportiert im Gegenzug armenischen Strom zurück in den Iran. Das gesamte Gas für den Inlandsverbrauch wird jedoch aus Russland über Gazprom Armenien importiert, ein vertikal integriertes Monopolunternehmen, das die ausschließlichen Rechte für die Einfuhr, den Transport und die Verteilung von Gas an die Verbraucher besitzt und im Besitz der gesamten Infrastruktur ist.

Die Gaseinfuhren aus Russland werden durch einen langfristigen Vertrag geregelt, der derzeit bei 165 USD/tcm liegt, was einen erheblichen Abschlag gegenüber den potenziellen Marktpreisen darstellt. Auf Wunsch von Gazprom kann der Gaspreis jedoch jährlich neu ausgehandelt werden.

Die armenische Regierung plant eine Steigerung der Stromexporte und hofft, den Stromhandel mit Georgien und dem Iran anzukurbeln. Mögliche Stromübertragungsverbindungen bestehen auch mit der Türkei. Ferner besteht armenisches Interesse nach 2025 Strom in den gemeinsamen Strommarkt der Eurasischen Wirtschaftsunion zu exportieren.

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Jüngste Entwicklungen

Sowohl die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine als auch der allgemeine weltweite Wirtschaftsabschwung beeinflussen die armenische Wirtschaft negativ.

Dennoch haben sich die Volatilität und die hohen Preise für Energierohstoffe nur begrenzt auf die armenische Wirtschaft ausgewirkt. Die Regulierungskommission für öffentliche Dienstleistungen hat Anfang März die Verbraucherpreise für Erdgas um 4% angehoben. Dieser Schritt wurde jedoch bereits vor dem Krieg in der Ukraine angekündigt. Entscheidend ist, dass der Gazprom-Importpreis an der Grenze unverändert geblieben ist. Während die Kosten für Treibstoffprodukte in gewissem Umfang stiegen, wirkten sich die Preiserhöhungen nur begrenzt auf den überwiegend mit Erdgas betriebenen Fuhrpark aus.

Auch die Entwicklungen rund um das alternde Kernkraftwerk werden derzeit diskutiert. Während die armenische Regierung im Mai mit den Vereinigten Staaten eine Absichtserklärung zur Kernenergie unterzeichnete, fanden Ende Juni Gespräche mit Rosatom über die Instandhaltung und Verlängerung der Lebensdauer von Block 2 sowie über den Bau eines neuen Kernkraftwerks statt.

Ausblick

Unter anderem als Reaktion auf den russischen Krieg in der Ukraine und mit einem starken Fokus auf Energiesicherheit veröffentlichte die armenische Regierung Ende März das Programm für Energieeinsparung und erneuerbare Energien für 2022-2030, welches die Ambitionen der Regierung zur Reduzierung der Importe fossiler Brennstoffe und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Sektors darlegt.

Schätzungen der Regierung gehen von einem Anstieg der Endenergieversorgung um 51% und des Endenergieverbrauchs um 49% im Jahr 2030 im Vergleich zu 2019 aus. Priorität hat die Solarenergie, die bereits in erheblichem Umfang eingesetzt wird, mit einem Ziel von 1.000 MW bis 2030, was 15% der gesamten Stromerzeugung ausmacht. In den letzten drei Jahren hat die Regierung zwei Projekte für den Bau und den Betrieb von PV-Solarkraftwerken erfolgreich ausgeschrieben: Masrik-1 (55 MW zu 4,19 US-Cent pro kWh) und Ayg-1 (200 MW zu 2,9 US-Cent pro kWh), wobei die Kosten des letzteren mit denen eines Kernkraftwerks vergleichbar sind. Die Regierung plant, mindestens fünf weitere PV-Solarprojekte mit einer Leistung von 120 MW auszuschreiben.

Darüber hinaus sieht die Regierung den Aufbau von  300 MW an Energiespeichersystemen vor, um die Zuverlässigkeit und den Ausgleich des Stromnetzes zu gewährleisten. Auch der Ausbau der Windenergie ist vorgesehen, doch werden derzeit weitere Studien zum Windpotenzial durchgeführt, da der Sektor noch nicht wettbewerbsfähig ist.

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Im Bereich der Energieeinsparung und -effizienz zielt die Regierung in erster Linie auf die Sektoren Wohngebäude, Verkehr und öffentliche Schulen ab, auf die der Großteil des Endenergieverbrauchs entfällt. Es soll nach Möglichkeit eine direkte Elektrifizierung gefördert werden, welche in erster Linie auf kohlenstoffarmen Strom beruht.

Geplant sind auch eine Harmonisierung der Tarifpolitik für Erdgas und Strom im Einklang mit der laufenden Marktliberalisierung sowie die Ausgabe von Green Bonds, die für Energieeffizienz- und Energiesparmaßnahmen verwendet werden sollen. Prognosen der Regierung gehen davon aus, dass bis 2030 allein bei den Importkosten für fossile Brennstoffe jährliche Einsparungen von 1,6% des BIP erzielt werden können.

Schlussfolgerung

Armeniens Energiesektor befindet sich an einem Scheideweg. Die Regierung hat zwar ehrgeizige Pläne zum Ausbau der Kapazitäten im Bereich der erneuerbaren Energien und zur Steigerung der Energieeffizienz, doch sind erhebliche Ausgaben und Anstrengungen erforderlich, um bestehende Kraftwerke und das Stromnetz zu sanieren, neue Energiequellen hinzuzufügen und die inländischen und grenzüberschreitenden Übertragungskapazitäten zu erweitern.

Dennoch sind weitere Analysen und technisch-volkswirtschaftliche Modellierungen erforderlich, um mögliche Szenarien zu bewerten, welche Gaspreisschocks, kostenoptimale Konfigurationen und Exportpotenziale beinhalten. Diese haben erhebliche Auswirkungen auf den armenischen Energiesektor und die anstehenden Pläne.

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