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Daniel Sosa

Armeniens Energiesektor: Aktuelle Trends und Herausforderung

Historisch gesehen war Armenien stets stark von Energieimporten abhängig, vor allem aus Russland und dem Iran. Die Diversifizierung der Energiequellen und die Reduktion der Importabhängigkeit sind daher zentrale Prioritäten der armenischen Politik. Da es keine nennenswerten heimischen Reserven an fossilen Brennstoffen gibt, ist Wasserkraft die primäre lokale Energiequelle. Eriwan strebt den Ausbau erneuerbarer Energien an, um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen und die Importabhängigkeit zu verringern.

  • Armenien
NL 17 | Mai - Juni 2024
Energie und Klima

Die Integration von mehr variabler erneuerbarer Energie bringt jedoch Herausforderungen mit sich. Ein flexibles Energiesystem mit Speichertechnologien und erhöhter Konnektivität mit Nachbarländern ist notwendig, um die wachsenden Mengen an erneuerbaren Energien auszubalancieren. Dieser Newsletter bietet Einblicke in den armenischen Energiesektor, aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und zukünftige Pläne.

Einführung und sektorale Übersicht

Nach einer schweren Energiekrise Mitte der 1990er Jahre leitete Armenien umfassende Reformen im Energiesektor ein. Teilprivatisierungen, Umstrukturierung von Unternehmensbeteiligungen und Einführung kostenorientierter Tarife führten zu einem Anstieg der Stromverfügbarkeit – von nur wenigen Stunden pro Tag auf 24/7. Ab 2022 wurde der Strommarkt entbündelt, und die Bereiche Erzeugung und Einzelhandel wurden für private Beteiligungen geöffnet. Der Gasmarkt bleibt jedoch vertikal integriert und wird von Gazprom Armenia monopolisiert. Die weniger relevante Ölmärkte sind vollständig privatisiert und liberalisiert.

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Armenien ist stark auf Erdgas angewiesen, welches 61% des gesamten Primärenergieangebots ausmacht, gefolgt von Kernenergie (18%) und Ölprodukten (14%). Der Energieverbrauch konzentriert sich hauptsächlich auf Haushalte (34%) und den Transportsektor (30%). Im Letzteren entfällt der Verbrauch hauptsächlich auf Ölprodukte (52%) und Erdgas (46%), wobei Armenien einen der weltweit höchsten Anteile an Fahrzeugen hat, die mit komprimiertem Erdgas (CNG) betrieben werden. Der Energieverbrauch hat in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen (2022: 2,9 Mtoe), und wird 2040 voraussichtlich 3,5 Mtoe erreichen (USAID, 2019).

Abhängigkeit von Energieimporten

Armeniens Energiesektor wurde erheblich durch seine geografischen und geopolitischen Umstände geprägt. Da das Land über keine bedeutenden fossilen Brennstoffreserven verfügt, ist es stark von Energieimporte abhängig, welche 78% seines Primärenergieangebots ausmachen. Armenien verfügt über keinen Zugang zum Meer und angespannte Beziehungen zu Aserbaidschan und der Türkei erschweren andere Importwege, so dass nur Georgien und Iran als Optionen verbleiben.

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Armenien nutzt die bestehende Gasinfrastruktur aus der Sowjet-Ära, um Erdgas aus Russland über Georgien zu niedrigen Kosten zu importieren, was im Laufe der Zeit zu einer zunehmenden Abhängigkeit von russischen Energieimporten führte. Zusätzlich bietet eine zweite Gaspipeline aus dem Iran eine weitere Importroute, die jedoch aktuell in erster Linie für das Tauschabkommen (Elektrizität gegen Erdgas) genutzt wird; das importierte Erdgas wird jedoch auch teilweise für den inländischen Verbrauch verwendet.

Derzeit sucht Armenien aktiv nach Wegen, seine Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. In diesem Kontext wurden bedeutende Fortschritte bei der Verbesserung der Energieeffizienz und dem Einsatz erneuerbarer Energiequellen erzielt; 2022 wurde das Programm zur Energieeffizienz und erneuerbaren Energien für 2022-2030 veröffentlicht. Diese Bemühungen haben zu einem bemerkenswerten Erfolg geführt: Einer Reduktion der Gasimporte aus Russland um 10% z. Vj. in 2023.

Stromsektor

Armeniens Erzeugungsmix ist diversifiziert, wobei Gas 42%, Kernenergie 32% und Wasserkraft 22% ausmachen. Seit 2015 ist die Stromerzeugung aus Erdgas um 38% gestiegen, während die Wasserkraft um 15% zurückgegangen ist. Die gesamte Kapazität beträgt 4 GW, was den Spitzenbedarf (~1,3 GW) deutlich übersteigt. Jedoch liegt die verfügbare Kapazität aufgrund eines alternden Kraftwerksparks niedriger (3,1 GW).

Die gesamte nukleare Kapazität Armeniens von 448 MW spiegelt sich im Kernkraftwerk Metsamor wider. Ursprünglich während der Energiekrise Mitte der 90er Jahre wieder in Betrieb genommen, wurde die Stilllegung von Metsamor wiederholt verschoben. Derzeit ist die Abschaltung für Ende 2026 geplant, doch gibt es Überlegungen, die Betriebsdauer bis 2036 zu verlängern. Außerdem existieren Pläne für den Bau eines zweiten Reaktors mit einer Kapazität von ca. 1-1,2 GW.

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Aktuelle Entwicklungen

Sorge um die Energiesicherheit und Auswirkungen auf die Umwelt haben Bemühungen um den Ausbau der inländischen erneuerbaren Energieerzeugung in Armenien vorangetrieben. Wasserkraft bleibt die wichtigste Quelle und macht 74% der erneuerbaren Kapazität aus. Nichtsdestotrotz trieb staatliche Förderung den Ausbau der Solarenergie stark voran, die 26% der Kapazität 2023 ausmachte. Dank vorteilhafter Sonneneinstrahlung und sinkender Solarmodulkosten plant Armenien, die Solarkapazität bis 2030 auf 1 GW zu erhöhen.

Die Regierung hat fünf Ausschreibungen für netzgebundene Kraftwerke eingeleitet. Bereits erfolgreiche Projekte sind Masrik-I (55 MW) und das in Entwicklung befindliche Ayg-I (200 MW). Weitere Ausschreibungen mit einer Gesamtkapazität von etwa 320 MW sind in Vorbereitung. Auch Solarenergie auf Dächern erhielt viel Förderung, mit Cashback-Anreizen bis zu 30% und einem Net-Metering-Programm. Diese Initiativen erhöhten die Solarkapazität von 111 MW (2020) auf 474 MW (2023). Das Energieprogramm 2022-2030 sieht auch die Realisierung des Windenergiepotenzials in Armenien vor, jedoch gibt es noch keine konkreten Projekte, und die installierte Windkapazität blieb mit 8,2 MW gering.

Herausforderungen und aktuelle Diskussionen

Mit dem raschen Ausbau der Solarkapazitäten im Land wächst die Sorge um die Stabilität des Stromnetzes. Der erhöhte Anteil an variabler Energieerzeugung, die langsame Anlaufzeit des Kernkraftwerks Metsamor und die alternden Gaskraftwerke stellen erhebliche Herausforderungen dar, um die durch den Ausbau von Solar-PV verursachten Veränderungen im Tag-Nacht-Erzeugungsprofil auszugleichen. Um die erwartete Zunahme erneuerbarer Energien zu bewältigen, ist eine Erweiterung der derzeitigen Verbindungskapazitäten mit Georgien und dem Iran von entscheidender Bedeutung. Geplant ist eine Erhöhung der Kapazitäten von 200 auf 350 MW (Georgien) und von 340 auf 1.200 MW (Iran).

Darüber hinaus gibt es Gespräche über eine Erhöhung der Speicherkapazitäten in Form eines Pumpspeicherkraftwerks in der Vorotan-Kaskade und größeren Batteriespeichersystemen. Armenien entwickelt derzeit ein Pilotprojekt zur Batteriespeicherung mit einer geschätzten installierten Speicherkapazität von 1.200 MWh. Die genaue Kapazität und Notwendigkeit dieses Projekts hängen maßgeblich vom Fortschritt beim Ausbau der Übertragungskapazitäten mit Georgien und dem Iran ab. Die Finanzierung und die Auswirkungen auf die Endverbrauchertarife sind ebenfalls noch unklar.

 
                        Zusammenfassung und Ausblick

Armenien priorisiert derzeit den Ausbau der Übertragungskapazitäten, sowie der Kern- und Solarenergie, aber auch der Stromspeicherkapazitäten. Die weitere Entwicklung der Kapazitäten für erneuerbare Energien stellt das effektivste Mittel dar, um Armeniens Energieunabhängigkeit zu stärken, insbesondere da neue thermische Kapazitäten Brennstoffimporte (hauptsächlich aus Russland und Iran) erfordern würden. Der kostoptimale Ansatz und Umfang für die Integration von Solar-PV und Speichern bleiben ungewiss und erfordern weitere Analysen. Es ist entscheidend sicherzustellen, dass die Kosten für neue Erzeugungs-, Übertragungs- und Speicherprojekte in den Verbrauchertarifen berücksichtigt werden. Eine umfassende Studie zu Implementierungsmethoden ist erforderlich, um verwundbare Verbraucher zu schützen.

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Dieser Newsletter basiert teilweise auf dem in Kürze erscheinenden Policy Briefing „Energy sector monitor Armenia“.